Lost place: Wollseifen

Als Telefonjoker in Sachen Geschichte wäre ich eine komplette Niete. Unser schulischer Geschichtsunterricht endete in meiner Erinnerung mit der Schlacht von Tour und Poitiers im Jahre 732. Da ich aber nur unwissend und nicht gänzlich ignorant bin, treibt die Neugierde mich immer wieder mal in geschichtsträchtige Orte am Wegesrand. Gerade dann, wenn die Gegenwart erschreckend viele Parallelen zur Vergangenheit aufweist.

In der tiefsten Eifel,

nahe zur belgischen Grenze, kam Hitler 1934 auf die ziemlich spontane Idee eine Ausbildungsstätte für den Führernachwuchs der NSDAP bauen zu lassen. 1936 war die Idee umgesetzt und die gigantische Ordensburg Vogelsang stand. Auch mit der Hilfe von Handwerkern aus dem nahen Dorf Wollseifen. Die Eifel war arm und karg, ordentlich bezahlte Arbeit stand hoch im Kurs.

Über 500 Menschen wohnten seinerzeit in Wollseifen, es gab Geschäfte, eine Kneipe, eine Schule und eine Kirche. Heute würde man zu Wollseifen sagen: „ländliche Idylle pur“.

Gut für Wollseifen war auch, dass die älteste Talsperre der Eifel, die Urfttalsperre, ab 1905 Sommerfrischler aus den großen Städten an Rhein und Ruhr anzog. Da, wo früher Wölfe aus den Siefen (Ursprung des Namens Wollseifen) in den kleinen Tälern Wasser soffen, entstand ein klein bisschen Wohlstand.

Der Dorfplan von Wollseifen – um 1937

Bis der 2. Weltkrieg

auch aus dieser Idylle ein Schlachtfeld machte, denn Vogelsang war ein dankbares Ziel für die Bomber der Alliierten. Natürlich wurde die nahe Umgebung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen.

Am 15. Dezember 1944 warfen amerikanische Jagdbomber einen Bombenteppich über Wollseifen ab. 35 Dorfbewohner überlebten diesen Angriff nicht. Am 4. Februar 1945 nahmen die Amerikaner dann das Dorf ein, gut 3 Monate vor der Kapitulation Deutschlands. Wollseifen lag in Trümmern – so wie große Teile des Landes. Wir alle kennen die Geschichten rund um die Anfänge des Wiederaufbaus. Aber die Geschichte von Wollseifen kannte ich nicht. Während in ganz Deutschland „in die Hände gespuckt wurde“, lasen die Wollseifener  am 13. August 1946 in den Aachener Nachrichten: „Wollseifen wird geräumt“.

Und zwar zum 1. September!

Die englischen Besatzer wollten einen Truppenübungsplatz anlegen. Stalin machte dem Westen Angst und der Westen wollte sich militärisch vorbereiten. Das Todesurteil für das kleine Eifeldorf mit seinen rund 500 Einwohnern hat damals keine großen Wellen geschlagen. Es wurde stillschweigend hingenommen. Die Häuser wurden noch einmal geputzt, der Schlüssel von außen stecken gelassen und die Einwohner verließen ihre Heimat. Sie kamen irgendwo unter, nah oder fern, bei Freunden, Verwandten oder Fremden, die Mitleid hatten. Manche glaubten nach kurzer Zeit zurückkommen zu können. Aber das war ein Irrglaube. Jedes Jahr an Allerseelen durften sie einmal auf dem Friedhof ihrer Toten gedenken und dabei zuschauen, wie ihr Dorf erneut in Schutt und Asche gelegt wurde, zu Übungszwecken.

Als die Briten genug geübt hatten,

übergaben sie das Areal 1950 an die belgischen Streikräfte. Auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes errichteten die Belgier Kulissenhäuser, um den Häuserkampf zu üben (z.B. 2001 für den Kosovo Einsatz).

Lost place Wollseifen mit Kulissenhäusern

Die Wollseifener realisierten, dass ihr Dorf für immer verloren war. Sie betteten ihre Toten um, retteten den Wetterhahn ihrer Kirche vor dem Zugriff eines englischen Kommandanten, der sein Wohnhaus mit dem schönen Tier schmücken wollte,

Die Kirche heute, der Wetterhahn schmückt wieder das restaurierte Gotteshaus

gründeten den Traditionsverein Wollseifen und bauten sich endgültig ihre neuen Existenzen fernab ihres Heimatdorfes auf.

Übrigens: Eine echte Entschädigung haben die Bewohner von Wollseifen für den Verlust ihrer Häuser und Grundstücke nie erhalten.

Seit Aufgabe des Truppenübungsplatzes im Jahre 2006 gehört das Gebiet einschließlich der verbliebenen Gebäude von Wollseifen dem Nationalparkforstamt Eifel. Wollseifen ist heute frei zugänglich.

Wie komme ich hin?

Ein ausgeschilderter ca. 2 Kilometer langer Fußweg führt vom öffentlichen Parkplatz am Verkehrskreisel vor dem Eingang zur Vogelsang-Anlage direkt nach Wollseifen.

Besonders schön im Frühjahr, wenn das Eifelgold (Ginster) blüht

Weitere Infos über Wollseifen unter:

https://wollseifen.jimdofree.com/allgemeines/die-tr%C3%BCmmer-schweigen-nicht

Alle Fotos entstanden im August 25 in Wollseifen, Ausnahme: Ginsterfoto von T.W.

Lust auf eine weitere Eifel-Geschichte?

Regierungsbunker

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

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