Eisiges Grab

Tod am Berg / Kurzgeschichte.

Die fatale Mischung aus fehlender Ortskenntnis, unpassender Ausrüstung, Unerfahrenheit, Arroganz und Selbstüberschätzung sorgt in den Bergen regelmäßig für ein tödliche Ende und ein eisiges Grab.

Die Nacht war kurz, das Wetter klar und die Schutzhütte vibriert jetzt unter den Schritten der Bergsteiger:innen, die nur eines im Sinn haben: den Gipfel des Großvenedigers erklimmen. Gotthard hat das schon viele hundert Mal hinter sich, entsprechend schlafwandlerisch packt er das Zeug zusammen und trifft seine Seilschaft draußen vor der Tür. Gotthard ist Bergführer und hat heute sechs Gäste, die er auf den Gipfel führen soll. Noch ist es glatt unter null Grad, jetzt in der Morgendämmerung. Sie steigen wortlos bis zum Gletschereinstieg auf, dort, auf 3000 Metern Meereshöhe, seilt Gotthard seine Schützlinge an, schwört sie auf die richtigen Abstände und Seillängen ein und erklärt, was zu machen ist, wenn eine Schneebrücke über einer verdeckten Spalte bricht.

Jetzt im Hochsommer sind zwar viele Spalten offen

und können leicht umgangen werden, aber es tun sich täglich neue auf, auch an immer neuen Stellen. Der Klimawandel schmilzt und zerreißt das Jahrtausende alte Eis des Gletschers.

Altes Eis

Drei befreundete Paare aus Deutschland haben Gotthard gebucht.

Sie alle sind alpin erfahren, verfügen über eine gute Kondition und freuen sich unbändig auf den Aufstieg in der langsam wärmer werdenden Sonne, die Ausblicke und das Gipfelerlebnis. Bei 3400 Metern Höhe erreichen sie einen Sattel und rasten, sie sind die erste Seilschaft hier oben. Der Blick schweift bis zum Großglockner und in die Dolomiten. Ein Heimspiel für Gotthard, jeden Gipfel mit Namen zu kennen. Von hinten nähern sich zwei Männer in ihrer Aufstiegsspur. Grußlos ziehen sie an der Gruppe vorbei, mit Steigeisen, aber ohne Seil und Sicherung. Gotthard schwillt der Kamm.

„Ihr wisst, dass das mordsgefährlich ist, oder“

– wirft er ihnen hin. „Geht dich das was an?“ raunzt der Erste und tritt ganz frech mit seinen Steigeisen auf Gotthards Seil im Schnee.

Dem zuckt die Faust, doch er zieht zurück. Ignoranten am Berg, sie werden mehr, wie Gletscherspalten. Die beiden kommen aus der Slowakei, da ist sich Gotthard sicher, auf der Hütte hatte er das am frühen Morgen mitbekommen. Noch für jeden ein Schluck aus der Pulle und dann steigen Gotthard und seine Kunden weiter, im schon weich werdenden Schnee. Die Sonne wärmt jetzt kräftig, weil fast kein Wind geht. Im Norden bilden sich die ersten flachen Wolkenbänke. Aber die Sicht bleibt grandios und wird es auch am Gipfel noch sein. Der liegt jetzt schon, nach drei Stunden Aufstieg, zum Greifen nah vor ihnen. Die beiden „freundlichen Bergkameraden“ steigen  – mittlerweile seitlich der alten Spuren 

– auf der Direttissima –

dem Gipfel entgegen. Gotthard hat sie stetig vor Augen, dann verschwinden sin in einer kleinen Mulde aus seinem Blickfeld. Seine Gruppe schlägt sich blendend, keiner zeigt eine Schwäche, alle sind im Genussmodus. Und dann brüllt Inge, die das Ende der Seilschaft bildet.

„Gotthard, schau mal, da steht nur noch einer.“

Und der fuchtelt wie wild mit den Armen und fängt dann auch das Brüllen an und Fluchen. Gotthard kennt solche Situationen. Er denkt zuerst an seine Gruppe. Klärt, dass sie geordnet weiter steigen und natürlich angeseilt bleiben. Zehn Minuten später erreichen sie den Slowaken. Er ist außer sich vor Angst, blind vor Wut. Er schreit Gotthard an, dann heult er hilflos auf und zeigt auf die gebrochene Schneebrücke und das blauweiße Eisloch darunter, kaum zehn Meter abseits der getretenen Route. „Wie heißt du und wie heißt dein Kumpel da unten?“ fragt Gotthard. „Ich heiße Eugen und Tibor heißt er.“

Mit seiner alten Alpenstange aus Haselnuss, die er jedem Teleskopstock vorzieht, testet Gotthard den Schnee vor sich und nähert sich mit kleinen vorsichtigen Schritten der frischen Spalte und brüllt dann aus vollem Hals.

„Tibor, hörst du mich?“

Alle hören ihn leise, aber deutlich. „Ja, ich stecke fest, ich sehe ein bisschen Himmel.“

Eugen ruft zurück, verspricht Tibor Hilfe zu holen. Gotthard kann ihn in der Spalte nicht sehen, er schätzt, dass er mindestens 15 Meter in die Tiefe gestürzt ist und ohne Gerät und zusätzliche professionelle Hilfe nicht zu bergen ist. Entsprechend plant er die nächsten Schritte. Als erstes ruft er die Bergrettung an. Die werden sich freuen. Am Sonntag und wieder auf dem Gletscher und wieder so ein Idiot, der nicht hören wollte. Dazu der Wetterbericht: aufziehende Kaltfront von Norden, dazu böig auffrischender Wind, in der Höhe mit schweren Sturmböen. Ziemlich genau vor einem Jahr hatte die Bergrettung an derselben Gletscherpassage einen Rettungseinsatz. Zwei Polen waren damals ungesichert unterwegs, einen hatte es erwischt, tot.

Der gerufene Hubschrauber geriet in einen höllischen Sturm,

der Pilot musste in höchster Not das Tau, an dem die Retter hingen, ausklinken. Das geschah wegen der schlechten Sicht zu hoch über dem Boden. Drei Retter stürzten auf den Gletscher, einer überlebte das Unglück nicht. Ein Familienvater, den alle kannten. Gotthard ruft als nächstes seinen Kollegen Matthias an, der mit zwei Gästen am Seil nach ihm gestartet ist und den er schon weiter unten aufsteigen sieht. Er bittet ihn, seine Gruppe zu übernehmen und weiter zum Gipfel zu führen.

Er selbst will bei Eugen bleiben.

Auch wenn er ihm vor einer halben Stunde am liebsten die Faust ins Gesicht gerammt hätte. Der zittert und heult vor sich hin, während Gotthards Seilschaft um Fassung ringt. Weitergehen, umdrehen? Das Wetter wird auch nicht besser. Matthias schließt mit seinen beiden Gästen auf, lässt sich von Gotthard die Lage erklären und übernimmt dann seine Seilschaft. 10 Minuten später ist die neue achtköpfige Gruppe zusammengestellt, angeseilt und kann mit Matthias gen Gipfel weiterziehen.

Umdrehen ist dann doch keine Option,

Weiter Richtung Gipfel

noch passt das Wetter und die Unglückstelle wirkt furchteinflößend. Ein hilfloser Eugen, ein wütender Gotthard und ein vom Tode bedrohter Tibor. Mit dem nimmt Gotthard wieder Kontakt auf. Während auf dem Gletscher die Sonne brennt, wird Tibor in seiner kalten Gruft von Schmelzwasser durchnässt. Er scheint einen Halt gefunden zu haben, aber sein rechtes Bein kann er nicht bewegen. Und Gotthard sieht keine Chance sich ohne zusätzliche Hilfe zu ihm abzuseilen. Eugen fordert das, schreit ihn an, will ihn schlagen, ihn treten, gerät außer Kontrolle. Gotthard versucht ihn zu beruhigen, versteht Eugen sogar ein wenig und packt dann doch seine Faust aus.

Ein Schlag in den Magen genügt,

Eugen klappt zusammen und sitzt gekrümmt im Schnee. „Ohne euch Idioten wäre das hier ein guter Sonntag. Erst hirnverbrannt durch die Gegend rennen und dann Hilfe von denen erwarten, die man bis dahin verachtet hat.“ Gotthards Ansage sorgt für eisige Stille am Unglücksort. Die Bergrettung ruft zurück. Der Helikopter hat einen Einsatz am Großglockner und kann frühestens in zwei Stunden vor Ort sein, etwa zur gleichen Zeit wie die erwartete Kaltfront. Gotthard versucht nochmal Kontakt mit Tibor aufzunehmen und erklärt ihm, dass Hilfe kommt. Aber es wird dauern. Er hört Tibors Antwort, leise: „Mir ist so kalt.“ – mehr nicht. Gotthard befiehlt Eugen mit seinem Freund in Kontakt zu bleiben, ihn abzulenken und aufzumuntern. Aber das schafft der nicht. Eben noch ein ignoranter Großkotz und jetzt ein armseliger, hilfloser Geselle. Hilfe aus dem Tal anzufordern macht keinen Sinn. Der Aufstieg dauert zu lange.

Sie brauchen den Hubschrauber.

So hocken die beide, die sich nichts zu sagen haben, beieinander, sehen die Front aufziehen und die Gruppe von Matthias vom Gipfel herunterwandern. Sie kommen an ihnen vorbei. Matthias und Gotthard besprechen sich, man wünscht sich gegenseitig Glück und dann zieht die Gruppe weiter. Das schlechte Wetter im Nacken. Und die Bergrettung meldet sich. Der Helikopter ist zurück an seinem Standort in Zell am See und wird aufgetankt. Aber der Wind hat jetzt, nördlich des Alpenhauptkamms, schon Sturmstärke in der Höhe. Die Heli-Firma will noch 30 Minuten warten und dann entscheiden. So hocken sie weiter herum, der Sturm mit Nebel und erstem Hagel zieht auf. Gotthard zwingt Eugen wieder und wieder mit seinem Kumpel Kontakt aufzunehmen, noch einmal hören sie einen ganz leisen und schwachen Ruf

Dann kommt der Anruf aus Zell: Kein Einsatz!

Der Wind legt weiter zu, bis zu 120 km/h werden erwartet. Keine Chance für den Heli.

Das Todesurteil für Tibor.
Eisiges Grab

Gotthard ruft hinunter ins Spaltenloch, bekommt aber keine Antwort mehr. „Du kannst dich von deinem Freund verabschieden, Eugen, das wars. Wir müssen verschwinden, sonst gibt es hier noch zwei Opfer mehr. Soll ich dich ans Seil nehmen?“ Von Eugen erhält Gotthard keine Antwort, der zittert am ganzen Körper und redet wirres Zeug. Also packt Gotthard ihn in den Gurt, hängt ihn mit Karabiner ans Seil. Die richtige Seillänge wird er kontrollieren, Eugen traut er kein zielgerichtetes Handeln mehr zu. Er verspürt eine unbändige Wut auf den Slowaken. Sturm und Nebel fegen, aber der Schneefall hält sich in Grenzen. So erreichen sie nach knapp zwei Stunden die Randspalte und damit das seitliche Ende des Gletschers. Ein kurzer Aufstieg ins Geröll, dann nimmt Gotthard Eugen vom Seil und rennt durch den Neuschnee voraus zur Hütte. Eugen stolpert hinterher. Drinnen hockt die ganze Gruppe.

An einen Abstieg ist nicht zu denken,

vielleicht am Nachmittag, wenn die Front schnell durchzieht. Eugen wird verdonnert auf der Hütte zu bleiben, bis das Rettungsteam eintrifft. Man wird ihn zur Verantwortung ziehen und zur Kasse bitten. Eine Runde Obstler als Stimmungsaufheller verfehlt komplett ihr Ziel. Alle hängen ihren Gedanken nach, können immer noch nicht verstehen, warum solche Idioten am Berg unterwegs sind und warum sie sich derart schwachsinnig benehmen. Und wie schnell ein Gletscher zum eisigen Grab werden kann.

Und Gotthard sagt zu Matthias: „Ein Idiot weniger, aber der nächste wird schon unterwegs sein.“

Kleiner Hinweis: Bergführer sind dafür ausgebildet, Gäste sicher durch die Berge und auf die Berge zu führen. In die eigene Sicherheit zu investieren macht Sinn!.

https://www.die-bergfuehrer.de/

https://www.bergfuehrer.at/

und ein interner Link:

Hotel Heimat – das Natur-Resort / Hoteltipp

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

Comments (3)

  1. Ich weiß ja nicht woher sie die Informationen bekommen haben aber mir ist in diesem Gebiet die letzten 20 Jahre kein solcher Fall bekannt.
    Zwar hat es diesen Unfall mit den Rettungskräften gegeben, dieser ist 9 Jahre her.
    Auch tödliche Spaltenstürze gibt es immerwieder, aber den Fall den sie beschreiben ist einfach nur erlogen!!!

    • Hallo Peter,
      schön, dass Sie auf meinem Blog gelandet sind. Nicht so schön, dass Sie mich der Lüge bezichtigen.
      Das machen Sie zu Unrecht. „Eisiges Grab“ ist klar und deutlich als Kurzgeschichte gekennzeichnet.
      In meiner Kurzgeschichte behandele ich ein relevantes Thema, meine Ausdrucksweise und Erzählweise machen m.E. zudem sehr deutlich, dass es sich um eine Geschichte handelt und nicht um einen Tatsachenbericht. Vielleicht lesen Sie die Geschichte nochmal durch, dann wird Ihnen Ihr Fauxpas sicherlich auffallen.

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