Nach 10 Minuten Fahrt bin ich um halb neun bei Haribo, also auf den Wiesen vor der neuen Zentrale von Haribo. Hier treffen sich Freiwillige, um Hilfe zu leisten. Per Shuttle werden sie im Minutentakt in die verschiedenen Orte an der Ahr gebracht. Hunderte Helfer warten, mit Schaufeln und Eimern bewaffnet. Manche haben in kleinen Zelten neben ihren Autos campiert. Ich sehe Autokennzeichen aus Wien, Hamburg, Berlin und Köln. Ähnlichkeiten mit der Szenerie auf Musikfestivals drängen sich auf. Eine junge Frau in Warnweste dirigiert uns gruppenweise Richtung Minibusse. Wer eine Tetanus Impfung benötigt, wird noch schnell entsprechend versorgt. Erst soll ich nach Rech gebracht werden, dann ist noch ein Platz bei Gerd im Bus frei und so lande ich 20 Minuten später in Dernau. Mein letzter Dernau Besuch liegt vier Monate zurück. Da hatte ich nach einer Wanderung von hier den Zug zurück nach Ahrweiler genommen.
Am Bahnhof werden wir ausgeladen.
Ich tue mich mit drei anderen Helfern zusammen. Johan kommt aus dem Allgäu, Michael aus Mönchengladbach und Jörg aus dem Siegtal. Wir biegen von der Hauptstraße ab Richtung Kirche und kommen an der ehemals schönsten Straußenwirtschaft (Im Burggarten) von Dernau vorbei. Sie hätte am 16. Juli wieder ihre Tore geöffnet.
Wir sehen eine ältere Frau auf der Straße winken. Sie weiß, dass jetzt die ersten Helfer eintreffen, und hat sich strategisch günstig positioniert. „Hilfe“ muss sie gar nicht groß sagen! Im ersten Stock sollen Türen, Rahmen und Holzdecken raus. Brecheisen hat sie, also legen wir los.
Es ist schwül in Dernau, entsprechend läuft das Wasser aus den Poren.
Aber Schlammwasser läuft auch noch jede Menge – nach fast 14 Tagen – aus Deckenleuchten, Holzverschalungen und Isolierschichten. Wir hauen raus, lagern zwischen und schleppen das verschlammte Material in den Hinterhof. Zwischendurch gibt es lauwarmen Kaffee und Brötchen von der Hauschefin, und natürlich Geschichten. Wie sie am Mittwochabend den alten Mercedes noch schnell auf höheres Gelände fahren wollte. Was auch gelang, leider trug die Ahr sie dann fort, durch Gassen und Hinterhöfe, mal vor, mal zurück. Irgendwann wurde sie auf ein Vordach gespült. Von hier konnte sie gerettet werden. Ihr Mann wurde auf der Suche nach ihr ebenfalls durchs Dorf getrieben. Erst war er noch gewatet, dann halb geschwommen und dann hatte die Wucht des Wassers die Fortbewegung für ihn übernommen.
Auch er hat überlebt.
Die Untermieterin nicht. Nachbarn auf den Dächern hatten die 70jährige noch rufen gehört. Dann wurde es Nacht, alles war schwarz. Kein Rufen mehr, nur das ohrenbetäubende Rauschen, Dröhnen, Krachen und Fluten des Wassers.
Am Morgen fand man sie ertrunken im Flur.
Sechs junge Polizisten kommen uns zur Hilfe. Zu neunt schafft man in kurzer Zeit viel Müll weg, zumal wir einen Frontlader immer wieder befüllen können. Der Unrat landet erstmal auf einer provisorischen Müllkippe hinter der ehemaligen Tankstelle des Dorfes. Gegen ein Uhr sagen wir tschüss. Die Polizisten machen weiter und wir brauchen Pause. Nudeln mit Gulasch, Mango-Saft und Wasser warten auf uns in einer provisorischen „Mensa“ hinter der Kirche. Perfekt organisiert von freiwilligen Helfern.
„Dernau steht zusammen“ ist keine Floskel. Ich suche ein DIXI Klo und lauf an einem alten Mann vorbei, der vor seinem ausgeräumten und verdreckten Haus mit dem Kehrblech kleine Holz- und Plastikstücke einsammelt. Ich könnte heulen.
Am Friedhof wird meine Stimmung kaum besser.
Ich latsche weiter. Drei weitere Bilder lassen mich innehalten. Kleine Bilder, die aber allesamt zeigen, welche Mammutaufgabe vor den Menschen hier liegt. Wenn ich mir hier einen Neuanfang vorstellen sollte, mir würden Fantasie und Wille vielleicht fehlen.
Das DIXI Klo ist dann sauberer als alles andere, was ich bis jetzt in Dernau gesehen habe.
Wir ziehen wie Tagelöhner weiter durchs Dorf. Erde wird mit Schaufeln aus einem Erdgeschossraum geworfen. Wir werfen mit. Man fragt nur „braucht ihr Hilfe?“ Bei Kopfnicken geht’s los. Wir schaufeln eine gute Stunde, dann ist der Raum leer. Wir übergeben ihn fast besenrein! Anschließend gehen wir weiter zu einer Arbeitsstelle vom Vortag. Aber da hauen Freiwillige aus Cham (in Bayern) so richtig rein. Also kehren wir dahin zurück, wo wir am Morgen schon großen Bedarf gesehen haben. Ein etwa 50jähriger „Hüne“ stocherte halbwegs hilflos in seinem restlos zertrümmerten Hinterhof herum. Offensichtlich war er zu scheu um Hilfe zu bitten. Wir drängen uns auf, zumal sein helfender Freund uns sehnsüchtig anschaut. Wir räumen den Hinterhof nach vorn an die Straße, dann beginnt es zu schütten. Statt Staub schlucken ist wieder Schlamm fressen angesagt. Wir befreien den „Hünen“ noch von zwei Zimmerdecken und hauen den Putz von den Wänden. Er ist dankbar und murmelt: „Besser, wenn ihr das macht.“ Seine Frau kommt mit zwei Müllsäcken und Maske vor dem Mund aus dem Obergeschoss herunter und sagt
nur:
„Ohne Worte“.
Dann müssen wir zum Shuttle. Meine drei Tagesfreunde versprechen dem „Hünen“, am nächsten Tag wiederzukommen. Es fällt mir schwer, aber ich mache ihm keine Zusage. Ein paar Tage Knochenarbeit liegen hinter mir und ich brauche eine Pause.
Ich kann das sagen, die Betroffenen vor Ort nicht.
Im Bus wird nicht gesprochen, alle sind k.o. und damit beschäftigt die Bilder des Tages zu verarbeiten. Ich auch! Und ich denke über den Spruch „meines Freundes“ Laschet nach, der gesagt hat, dass Bad Müstereifel schöner wird, als es vorher war.
Übrigens: Ich habe in Dernau keinen Querdenker, keinen Störenfried und auch keinen Gaffer gesehen. Hilfe steht im Vordergrund, sonst nichts.
Hier noch ein Link zu meinem Eintrag von letzter Woche, zum selben Thema
Und ein Link für Spenden: Die Aktion Weihnachtslicht des General Anzeigers Bonn sammelt auch Spenden für die Flutopfer (schon über 4,3 Mio/Stand Freitag).
Hilfe im Ahrtal…
Nach 10 Minuten Fahrt bin ich um halb neun bei Haribo, also auf den Wiesen vor der neuen Zentrale von Haribo. Hier treffen sich Freiwillige, um Hilfe zu leisten. Per Shuttle werden sie im Minutentakt in die verschiedenen Orte an der Ahr gebracht. Hunderte Helfer warten, mit Schaufeln und Eimern bewaffnet. Manche haben in kleinen Zelten neben ihren Autos campiert. Ich sehe Autokennzeichen aus Wien, Hamburg, Berlin und Köln. Ähnlichkeiten mit der Szenerie auf Musikfestivals drängen sich auf. Eine junge Frau in Warnweste dirigiert uns gruppenweise Richtung Minibusse. Wer eine Tetanus Impfung benötigt, wird noch schnell entsprechend versorgt. Erst soll ich nach Rech gebracht werden, dann ist noch ein Platz bei Gerd im Bus frei und so lande ich 20 Minuten später in Dernau. Mein letzter Dernau Besuch liegt vier Monate zurück. Da hatte ich nach einer Wanderung von hier den Zug zurück nach Ahrweiler genommen.
Am Bahnhof werden wir ausgeladen.
Ich tue mich mit drei anderen Helfern zusammen. Johan kommt aus dem Allgäu, Michael aus Mönchengladbach und Jörg aus dem Siegtal. Wir biegen von der Hauptstraße ab Richtung Kirche und kommen an der ehemals schönsten Straußenwirtschaft (Im Burggarten) von Dernau vorbei. Sie hätte am 16. Juli wieder ihre Tore geöffnet.
Wir sehen eine ältere Frau auf der Straße winken. Sie weiß, dass jetzt die ersten Helfer eintreffen, und hat sich strategisch günstig positioniert. „Hilfe“ muss sie gar nicht groß sagen! Im ersten Stock sollen Türen, Rahmen und Holzdecken raus. Brecheisen hat sie, also legen wir los.
Es ist schwül in Dernau, entsprechend läuft das Wasser aus den Poren.
Aber Schlammwasser läuft auch noch jede Menge – nach fast 14 Tagen – aus Deckenleuchten, Holzverschalungen und Isolierschichten. Wir hauen raus, lagern zwischen und schleppen das verschlammte Material in den Hinterhof. Zwischendurch gibt es lauwarmen Kaffee und Brötchen von der Hauschefin, und natürlich Geschichten. Wie sie am Mittwochabend den alten Mercedes noch schnell auf höheres Gelände fahren wollte. Was auch gelang, leider trug die Ahr sie dann fort, durch Gassen und Hinterhöfe, mal vor, mal zurück. Irgendwann wurde sie auf ein Vordach gespült. Von hier konnte sie gerettet werden. Ihr Mann wurde auf der Suche nach ihr ebenfalls durchs Dorf getrieben. Erst war er noch gewatet, dann halb geschwommen und dann hatte die Wucht des Wassers die Fortbewegung für ihn übernommen.
Auch er hat überlebt.
Die Untermieterin nicht. Nachbarn auf den Dächern hatten die 70jährige noch rufen gehört. Dann wurde es Nacht, alles war schwarz. Kein Rufen mehr, nur das ohrenbetäubende Rauschen, Dröhnen, Krachen und Fluten des Wassers.
Am Morgen fand man sie ertrunken im Flur.
Sechs junge Polizisten kommen uns zur Hilfe. Zu neunt schafft man in kurzer Zeit viel Müll weg, zumal wir einen Frontlader immer wieder befüllen können. Der Unrat landet erstmal auf einer provisorischen Müllkippe hinter der ehemaligen Tankstelle des Dorfes. Gegen ein Uhr sagen wir tschüss. Die Polizisten machen weiter und wir brauchen Pause. Nudeln mit Gulasch, Mango-Saft und Wasser warten auf uns in einer provisorischen „Mensa“ hinter der Kirche. Perfekt organisiert von freiwilligen Helfern.
„Dernau steht zusammen“ ist keine Floskel. Ich suche ein DIXI Klo und lauf an einem alten Mann vorbei, der vor seinem ausgeräumten und verdreckten Haus mit dem Kehrblech kleine Holz- und Plastikstücke einsammelt. Ich könnte heulen.
Am Friedhof wird meine Stimmung kaum besser.
Ich latsche weiter. Drei weitere Bilder lassen mich innehalten. Kleine Bilder, die aber allesamt zeigen, welche Mammutaufgabe vor den Menschen hier liegt. Wenn ich mir hier einen Neuanfang vorstellen sollte, mir würden Fantasie und Wille vielleicht fehlen.
Das DIXI Klo ist dann sauberer als alles andere, was ich bis jetzt in Dernau gesehen habe.
Wir ziehen wie Tagelöhner weiter durchs Dorf. Erde wird mit Schaufeln aus einem Erdgeschossraum geworfen. Wir werfen mit. Man fragt nur „braucht ihr Hilfe?“ Bei Kopfnicken geht’s los. Wir schaufeln eine gute Stunde, dann ist der Raum leer. Wir übergeben ihn fast besenrein! Anschließend gehen wir weiter zu einer Arbeitsstelle vom Vortag. Aber da hauen Freiwillige aus Cham (in Bayern) so richtig rein. Also kehren wir dahin zurück, wo wir am Morgen schon großen Bedarf gesehen haben. Ein etwa 50jähriger „Hüne“ stocherte halbwegs hilflos in seinem restlos zertrümmerten Hinterhof herum. Offensichtlich war er zu scheu um Hilfe zu bitten. Wir drängen uns auf, zumal sein helfender Freund uns sehnsüchtig anschaut. Wir räumen den Hinterhof nach vorn an die Straße, dann beginnt es zu schütten. Statt Staub schlucken ist wieder Schlamm fressen angesagt. Wir befreien den „Hünen“ noch von zwei Zimmerdecken und hauen den Putz von den Wänden. Er ist dankbar und murmelt: „Besser, wenn ihr das macht.“ Seine Frau kommt mit zwei Müllsäcken und Maske vor dem Mund aus dem Obergeschoss herunter und sagt
nur:
„Ohne Worte“.
Dann müssen wir zum Shuttle. Meine drei Tagesfreunde versprechen dem „Hünen“, am nächsten Tag wiederzukommen. Es fällt mir schwer, aber ich mache ihm keine Zusage. Ein paar Tage Knochenarbeit liegen hinter mir und ich brauche eine Pause.
Ich kann das sagen, die Betroffenen vor Ort nicht.
Im Bus wird nicht gesprochen, alle sind k.o. und damit beschäftigt die Bilder des Tages zu verarbeiten. Ich auch! Und ich denke über den Spruch „meines Freundes“ Laschet nach, der gesagt hat, dass Bad Müstereifel schöner wird, als es vorher war.
Übrigens: Ich habe in Dernau keinen Querdenker, keinen Störenfried und auch keinen Gaffer gesehen. Hilfe steht im Vordergrund, sonst nichts.
Hier noch ein Link zu meinem Eintrag von letzter Woche, zum selben Thema
Sturzfluten
Und ein Link für Spenden: Die Aktion Weihnachtslicht des General Anzeigers Bonn sammelt auch Spenden für die Flutopfer (schon über 4,3 Mio/Stand Freitag).
https://ga.de/verlag/unser-haus/aktion-weihnachtslicht/
Comments (2)
O Mann.
Einfach furchtbar. Nur die Hilfsbereitschaft der Menschen lässt einen hoffen. Das Wort Lachet kann ich nicht mehr hören.