Es gibt Kurztrips, die liefern einen Tapetenwechsel und viele tolle Eindrücke – die lohnen sich einfach. Und es gibt Kurztrips, die liefern auch Eindrücke, aber mit dem Lohnen ist es so eine Sache. Wie bei meinem Besuch beim bleichen Scheich in Qatar.
Es ist Oster-Sonntag
in der Früh und ich friere jämmerlich, auf meinem Besuch beim bleichen Scheich von Qatar. Keine Ostereier weit und breit, kein festlich gedeckter Frühstückstisch, nicht mal die Andeutung von frischem Kaffeeduft und schon gar keine feierlichen Kirchenglocken, stattdessen eine abgedunkelte Zimmerflucht ohne jedes Tageslicht und eine röhrende Klimaanlage. Ich sitze auf einem blutroten Brokatsofa in einer Art Wohnzimmer, etwa achtzig Quadratmeter groß, vor mir ein handgearbeiteter, verschnörkelter, flacher Couchtisch mit Glasplatte und darauf: eine Kleenex Box. Rechts neben mir auch ein blutrotes
Brokatsofa mit Couchtisch davor und Kleenex Box darauf, links ebenfalls.
An der gegenüberliegenden Wand sogar drei blutrote Brokatsofas, natürlich mit gleichem Arrangement davor wie rechts und links von mir. Über allen Sitzgelegenheiten hängen Bilder in schwülstigen Goldrahmen, die sich italienischen Landschaften, Blumen und vor allem einem Thema widmen: dem Pferd. Insgesamt hängen sechs Bilder mit Pferden um mich herum, das heißt, ich schaue in zwölf Pferdeaugen. Leider spiegeln sich in diesen Augen nicht Wildheit, Mut und Freiheitsdrang von rassigen Araberhengsten wider, sondern eher Langeweile und Tristesse.
Der Maler
war kein guter Augenmaler, Schweife konnte er ganz gut, Hälse gar nicht. Die sehen alle seltsam abgedreht aus, so als hätten die Pferde nach hinten geschaut und beim Zurückdrehen des Kopfes auf halber Strecke einen Krampf im Hals bekommen. Auf dem Boden liegen etwa fünf Zentimeter dicke Teppiche, überhäuft mit Ornamenten, alle in roten Farben gehalten. Ich verschränke die Arme vor der Brust um mich war zu halten, aber das hilft irgendwann auch nicht mehr.
Mein Fahrer,
der mich am Abend zuvor vom Flughafen zu meiner Unterkunft gebracht hatte, versprach mir, gegen 10 Uhr gäbe es Frühstück. Jetzt ist es viertel vor zehn und ich mache mich auf den Weg. Ich trete nach draußen und erblinde im selben Moment. Die gleißende Sonne und das Beschlagen meiner Brillengläser sind schuld. Das ist nicht schön, sehr schön aber ist die Hitze, die mir entgegenschlägt. Dieses wohlige Gefühl kenne ich nur aus Wintertagen, wenn man kalt geduscht in die Sauna steigt. Die Blindheit verflüchtigt sich und ich entdecke meine Umgebung. Gestern Abend, bei meiner Ankunft, war es stockdunkel. Meine Unterkunft ist ein schmuckloser, weiß getünchter Blockbau. Drei südindisch aussehende Männer stehen in der prallen Sonne davor, um sie herum Farbeimer, Pinsel, Abdeckfolien und Stehleitern.
Das Haus liegt an einer Straßenecke, hin und wieder fahren protzige Limousinen Marke BMW, Audi, Mercedes und Bentley vorbei, alle mit geschlossenen Fenstern und getönten Scheiben. Ich gehe ums Haus herum und suche dem Eingang zum sogenannten Man’s House. So nannte der Fahrer, der mich gestern vom Flughafen hierherbrachte, den Gebäudetrakt, der sich vor dem Gästehaus befindet, in dem ich die Nacht verbracht habe. Alle Türen sind verrammelt, ich warte bis viertel nach zehn und ziehe mich wieder, völlig frustriert und mittlerweile Schweiß gebadet, Richtung Gästehaus zurück.
Ich will jetzt einen Kaffee
und einen Happen zu essen. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich ein paar schmuddelige Läden mit weißen Plastikstühlen davor. Auch hier treffe ich nur ein paar Asiaten aus Indien, Nepal oder Sri Lanka. Sie hocken im Schatten, dösen vor sich hin oder nippen an ihrem Tee aus weißen Plastikbechern. Im ersten Laden versuche ich mein Glück. Es gibt Tee und in Folie eingeschweißtes, pappig aussehendes Hefegebäck. Und ich sehe eine verdreckte, aber halb volle Kaffeemaschine. Leider habe ich nur Euro in der Tasche und die lehnt der Geschäftsinhaber kategorisch als Zahlungsmittel ab. Wenn der ahnen würde, wie viel mir jetzt ein Kaffee wert wäre. Ich schenke dem Burschen ein böses „Frohes Ostern“ und stehe dann wieder draußen in der Hitze rum. Es ist mittlerweile viertel vor elf, es ist immer noch Ostersonntag und ich träume von einem Osterspaziergang entlang der Osterglockenbeete in Osterdorf im Allgäu.
Aber in Wirklichkeit
stehe ich auf einer verstaubten und ausgestorbenen und glühend heißen Straße in einem Vorort von Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf.
Meine Laune
wird immer festlicher und ich trotte wieder Richtung Man’s House. Jetzt ist die Eingangstür offen, ich ziehe die Schuhe aus und trete ein. In Grönland ist es vermutlich jetzt im April wärmer als hier im Salon meines Gastgebers, der weiter auf sich warten lässt. Dafür ist sein schläfriger Koch, ein Inder, gerade dabei die dreckigen Tee- und Kaffeegläser vom Vorabend von den Tischen zu räumen. Ich bitte ihn sehr höflich um ein Frühstück. Und das kommt ruckzuck auf den Tisch. Ein schöner Nescafe und ein Folienteilchen aus dem Laden von gegenüber. Meine Laune bessert sich und ich frage den Koch, wann denn mein Gastgeber wohl erscheinen mag. „Mohammed kommt meistens so gegen zwölf,“ ist die knappe Antwort. Na dann kann ich ja noch ein knappes Stündchen vor mich hin zittern, denke ich und schaue mir das Man’s House mal genauer an. Neues gibt es leider nicht zu entdecken, alles wie in meinem Quartier, mit zwei Unterschieden. Es gibt ein Bataillon Wasserpfeifen in einer Ecke und ein riesiges Goldfischaquarium an der Stirnseite des Salons.
Gegen halb zwölf
kommen die ersten Besucher. Reiche Qataris männlichen Geschlechtes nutzen das Man’s House offensichtlich gleichermaßen als Club, Büro, Restaurant, Cafe und Begegnungsstätte. Vor der Tür werden die Schuhe, besser die Plastiklatschen ausgezogen und dann macht man es sich auf einem der Sofas gemütlich. Ein Wasserpfeifchen, ein Tee, ein iPad und zwei iPhones und schon kann der restliche Tag ins Land gehen. Gegen zwölf ist der Club ganz ordentlich gefüllt, ich werde höflich von jedem neuen Besucher begrüßt, aber dann auch schnell wieder links liegengelassen. Die Spielgeräte von apple fordern volle Konzentration. Ich geh vor die Tür zum Aufwärmen und stolpere über das billige Schuhwerk der Clubgänger.
Qatar
ist ein sehr reiches Emirat, Erdgas heißt das Zauberwort. Qataris müssen nicht arbeiten, müssen nicht schwitzen, müssen sich keine Sorgen machen. Aber sie müssen Breitling Uhren tragen, eine blasse Haut haben, gern auch mal ein wenig teigig, sich mit jedweder Form von Unterhaltungselektronik leidlich auskennen und einen richtig dicken Schlitten fahren. Das alles ist chic und gehört sich so. Wer sich aus unerfindlichen Gründen keinen dicken Schlitten leisten kann, dem schenkt der Emir, also der Chef des Emirats, einen. Warum aber müssen die Burschen alle derartig billige Schlappen an den Füßen tragen. Ihr weißes Gewand, die Dishdasha und ihr Kopftuch, die Gutra, sind immer blütenweiß und frisch gebügelt, aber das Schuhwerk.
In jeder abgeranzten Sauna
eines städtischen Hallenschwimmbads in Deutschland würde der Bademeister solche Latschen in die Tonne stecken. Wenn die Herren früher hoch zu Kamel durch die Wüste ritten, war das Schuhwerk vielleicht nicht so wichtig, aber heute? Im weißen Audi Q7 vorfahren und an den Füßen schwarze Kunstlederlatschen! Vielleicht sollte ich umsatteln. Ich bin hier um den Qataris in Sachen Fernsehproduktionen unter die Arme zu greifen, aber mit Schuhen kenne ich mich doch auch ganz gut aus, denke ich.
Um viertel nach zwölf fährt mein Gastgeber im weißen Porsche Cayenne vor. Mein erster Blick gilt seinem Schuhwerk und meine sich gerade entwickelnde Geschäftsidee bekommt neue Nahrung. Mohammed ist eine stattliche Erscheinung, groß und kräftig gebaut, nicht dick und natürlich traditionell gekleidet. Er begrüßt mich freundlich und bittet mich in sein Büro, das im hinteren Teil des Clubs liegt. Hier empfängt er seine Gäste, hier schaut er Fernsehen, hier liegen seine Handys und hier ist es noch etwas kälter als vorne im Salon. Sofort betritt ein indischer Angestellter den Raum und bringt Wasserpfeifen und süßen Tee.
Ich sitze wieder auf einem roten Plüschsofa,
vor mir eine Kleenex Box, über mir ein Pferd, rechts ein überdimensionierter Plasmabildschirm und links: da sitzt Mohammed hinter seinem riesigen, vergoldeten Schreibtisch. Auf dem liegen nur seine drei Handys und eine Kleenex Box, sonst nichts. Kein Stift, kein PC, kein Papier, kein Buch, keine Zeitschrift, schon gar kein Aktenordner. Mohammed nimmt sich ein Tuch aus der Box und beginnt sich genüsslich damit abwechselnd in beiden Ohren zu bohren. „Ich komme gerade vom Duschen,“ begründet er sein Tun. Wir betreiben ein wenig Smalltalk, immer wieder unterbrochen von Handyklingeln und kurzen Telefonaten in Arabisch. Ich verstehe „Bahnhof“, was nicht weiter tragisch ist, weil Mohammed auch am Telefon ein Freund der kurzen Ansagen ist. Wenn ich ihm aus Deutschland eine sms oder eine mail mit konkreten Fragen zu unserer möglichen zukünftigen Zusammenarbeit schicke, dann gibt es nur drei Möglichkeiten der Antwort:
Erstens: gar keine, zweitens: ein schlichtes und völlig nichtssagendes ok oder drittens: einen noch schlichteren, getippten Punkt.
Aber jetzt bin ich ja vor Ort und möchte so langsam konkret werden. Ich opfere schließlich meinen Ostersonntag für dieses Treffen am Golf.
„Mohammed,
wann ist mein Treffen mit Scheich Abdul heute vorgesehen?“ „Gegen zwei, wenn alles gut geht,“ erwidert Mohammed. Er ist zwar mein Gastgeber und dafür verantwortlich, dass ich mein Osterfrühstück heute im Man’s House genossen habe, aber er ist nur der Vermittler zwischen Scheich Abdul, dem örtlichen Fernsehchef, und mir. Mohammed ist spezialisiert auf das Einfädeln von Geschäften, dabei ist ziemlich egal, um welche Art von Geschäften es sich handelt, von daher sollte ich meine Idee „schöne Schuhe für die Scheichs“ unbedingt mit ihm zusammen in die Tat umsetzen. Mein Gespräch mit Mohammed ermüdet mich. Nach jedem von ihm gesprochenen Satz muss er mindestens fünf Minuten mit seinen drei Handys spielen. Aktienkurse abfragen, Termine für die nächste Falkenjagd checken, seiner Frau die Kreditkarte sperren, was weiß ich.
Der Koch des Man’s House
hat ein Einsehen mit mir und ruft zum Essen. Alle anwesenden Clubmitglieder versammeln sich im Esssalon, der sich vom normalen Salon lediglich hinsichtlich der Größe unterscheidet, ansonsten die gleichen Rösser an den Wänden und die gleichen Foteuilles an den Wänden. In der Mitte des Raumes wird auf dem Teppich serviert. Es gibt gebratenes Tier mit Reis, dazu Salat und als Getränk Cola aus der Dose oder Cola light aus der Dose.
Auf Besteck wird traditionell verzichtet, für mich kein Problem, ich kann auch mit den Händen essen, bin allerdings Linkshänder. Und mit der linken Hand zu essen ist in Arabien so, als würden sie sich mit der Klobürste die Zähne putzen.
Gottlob
bin ich nicht zum ersten Mal beim Muselmann, weiß also ob der Gefahr und setze meine rechte Hand in Szene. Das kostet mich all meine Konzentration, was nicht weiter tragisch ist, da meine Tischdeckennachbarn, wenn sie sich nicht gerade die Hand in den Mund schieben, alle mit ihren Handys zu Gange sind, ein Tischgespräch also vollkommen unangemessen wäre. Nach etwa acht Minuten macht eine Kleenex Box die Runde, danach werden die Hände im rechter Hand liegenden Bad ordentlich gereinigt und dann steht Müßiggang auf dem Programm, versüßt mit Tee, Wasserpfeife und Handy. Es ist zwei Uhr und ich schaue Mohammed an, aber der schaut sein Handy an, oder schließt die Augen und saugt an seiner Pfeife. Alle Sofas sind jetzt besetzt, beziehungsweise belegt, leichte Schnarchgeräusche, Händytöne und das Blubbern der Wasserpfeifen sorgen für eine fast festliche Stimmung.
Nur mein Scheich fehlt.
Der ist auch um drei und auch um vier Uhr noch nicht da, aber um viertel nach vier! Aber für eine sofortige Audienz ist es doch noch zu früh, zuerst muss er mit Mohammed konferieren, dann muss er essen und Wasserpfeife rauchen und dann wird es langsam dunkel und ich darf weiter meiner neuen Lieblingsbeschäftigung frönen: raus in die Hitze treten, Plastiklatschen an der Eingangstür zählen, dann wieder eintreten und Goldfische zählen.
Um kurz vor sechs ist es soweit.
Der Termin, für den ich diese Reise angetreten habe, steht unmittelbar bevor. Mohammed richtet mir aus, dass der Scheich im Wohnzimmer des Gästehauses auf mich wartet. Seine Latschen stehen vor der Tür, ich stelle meine Schuhe dazu und trete ein. Scheich Abdul ist ein unscheinbarer Mann, traditionell gekleidet, mit randloser Brille und bleicher Gesichtshaut. Ein bisschen frische Luft würde ihm gut tun. Wir begrüßen uns und ich erkläre ihm in circa drei Minuten, warum ich die perfekte Wahl für seine frisch zu besetzende Stelle als Berater seines neuen Fernsehsenders bin. Während meiner kurzen Rede wird er einmal auf seinem Handy angerufen und muss selber ein dringendes Telefonat führen. Dann führen wir ein kurzes Gespräch, in etwa mit folgendem Wortlaut. Scheich Abdul: „Das hört sich sehr interessant an.“ Ich: „Freut mich sehr, dass Ihnen meine Vorstellungen gefallen.“ Scheich Abdul: „Können Sie sich vorstellen, hier zu arbeiten? Und wann könnten Sie beginnen?“ Ich:“ Natürlich sehr zeitnah, sonst wäre ich nicht zu diesem Gespräch gekommen. Wenn wir die Formalitäten zügig klären und Ihnen meine Gehaltsvorstellungen zusagen, kann ich in vier Wochen bei Ihnen beginnen.“ Scheich Abdul: „Dann werde ich Ihnen in den nächsten Tagen konkrete Unterlagen mit unseren Vorstellungen zusenden. Dann treffen wir uns noch einmal hier und dann kann es losgehen.“
Ich: „Wunderbar.“
Dieses Gespräch wird von keinem einzigen Handyton unterbrochen. Scheich Abdul kann sich mir ganz widmen, für eben dieses Gespräch, also circa sechzig Sekunden. Nach meinem „wunderbar“ ist aber auch Schluss mit der Ruhe, Mohammed tritt ein und drei Freunde von ihm. Man schwadroniert auf arabisch los, macht sich auf neue Apps aufmerksam und ordert Wasserpfeifen.
Ich habe ausgedient,
werde links liegen gelassen, interessiere nicht mehr, bin Luft – kalte Luft. Meine Reisetasche ist schnell gepackt, ich gebe Scheich Abdul noch meine Visitenkarte und er gibt mir seine und versichert mir, dass ich in wenigen Tagen ein konkretes Angebot von ihm erhalte und dann heißt es „Salam“ und weg bin ich im weißen Bentley Richtung Flughafen.
Eine Nacht und ein Tag in Arabien waren keine Reise wert, denke ich auf der Fahrt, aber vielleicht kommen ja noch 1001 Nacht.
Ich erhalte kein Angebot, ich erhalte ein „ok“ und einen „Punkt“ von Mohammed – im Abstand von vier Wochen, dann ist Funkstille. Wie gerne hätte ich dem Scheich zumindest ein paar neue Schlappen spendiert.
Ostern am Golf
Es gibt Kurztrips, die liefern einen Tapetenwechsel und viele tolle Eindrücke – die lohnen sich einfach. Und es gibt Kurztrips, die liefern auch Eindrücke, aber mit dem Lohnen ist es so eine Sache. Wie bei meinem Besuch beim bleichen Scheich in Qatar.
Es ist Oster-Sonntag
in der Früh und ich friere jämmerlich, auf meinem Besuch beim bleichen Scheich von Qatar. Keine Ostereier weit und breit, kein festlich gedeckter Frühstückstisch, nicht mal die Andeutung von frischem Kaffeeduft und schon gar keine feierlichen Kirchenglocken, stattdessen eine abgedunkelte Zimmerflucht ohne jedes Tageslicht und eine röhrende Klimaanlage. Ich sitze auf einem blutroten Brokatsofa in einer Art Wohnzimmer, etwa achtzig Quadratmeter groß, vor mir ein handgearbeiteter, verschnörkelter, flacher Couchtisch mit Glasplatte und darauf: eine Kleenex Box. Rechts neben mir auch ein blutrotes
Brokatsofa mit Couchtisch davor und Kleenex Box darauf, links ebenfalls.
An der gegenüberliegenden Wand sogar drei blutrote Brokatsofas, natürlich mit gleichem Arrangement davor wie rechts und links von mir. Über allen Sitzgelegenheiten hängen Bilder in schwülstigen Goldrahmen, die sich italienischen Landschaften, Blumen und vor allem einem Thema widmen: dem Pferd. Insgesamt hängen sechs Bilder mit Pferden um mich herum, das heißt, ich schaue in zwölf Pferdeaugen. Leider spiegeln sich in diesen Augen nicht Wildheit, Mut und Freiheitsdrang von rassigen Araberhengsten wider, sondern eher Langeweile und Tristesse.
Der Maler
war kein guter Augenmaler, Schweife konnte er ganz gut, Hälse gar nicht. Die sehen alle seltsam abgedreht aus, so als hätten die Pferde nach hinten geschaut und beim Zurückdrehen des Kopfes auf halber Strecke einen Krampf im Hals bekommen. Auf dem Boden liegen etwa fünf Zentimeter dicke Teppiche, überhäuft mit Ornamenten, alle in roten Farben gehalten. Ich verschränke die Arme vor der Brust um mich war zu halten, aber das hilft irgendwann auch nicht mehr.
Mein Fahrer,
der mich am Abend zuvor vom Flughafen zu meiner Unterkunft gebracht hatte, versprach mir, gegen 10 Uhr gäbe es Frühstück. Jetzt ist es viertel vor zehn und ich mache mich auf den Weg. Ich trete nach draußen und erblinde im selben Moment. Die gleißende Sonne und das Beschlagen meiner Brillengläser sind schuld. Das ist nicht schön, sehr schön aber ist die Hitze, die mir entgegenschlägt. Dieses wohlige Gefühl kenne ich nur aus Wintertagen, wenn man kalt geduscht in die Sauna steigt. Die Blindheit verflüchtigt sich und ich entdecke meine Umgebung. Gestern Abend, bei meiner Ankunft, war es stockdunkel. Meine Unterkunft ist ein schmuckloser, weiß getünchter Blockbau. Drei südindisch aussehende Männer stehen in der prallen Sonne davor, um sie herum Farbeimer, Pinsel, Abdeckfolien und Stehleitern.
Das Haus liegt an einer Straßenecke, hin und wieder fahren protzige Limousinen Marke BMW, Audi, Mercedes und Bentley vorbei, alle mit geschlossenen Fenstern und getönten Scheiben. Ich gehe ums Haus herum und suche dem Eingang zum sogenannten Man’s House. So nannte der Fahrer, der mich gestern vom Flughafen hierherbrachte, den Gebäudetrakt, der sich vor dem Gästehaus befindet, in dem ich die Nacht verbracht habe. Alle Türen sind verrammelt, ich warte bis viertel nach zehn und ziehe mich wieder, völlig frustriert und mittlerweile Schweiß gebadet, Richtung Gästehaus zurück.
Ich will jetzt einen Kaffee
und einen Happen zu essen. Auf der anderen Straßenseite entdecke ich ein paar schmuddelige Läden mit weißen Plastikstühlen davor. Auch hier treffe ich nur ein paar Asiaten aus Indien, Nepal oder Sri Lanka. Sie hocken im Schatten, dösen vor sich hin oder nippen an ihrem Tee aus weißen Plastikbechern. Im ersten Laden versuche ich mein Glück. Es gibt Tee und in Folie eingeschweißtes, pappig aussehendes Hefegebäck. Und ich sehe eine verdreckte, aber halb volle Kaffeemaschine. Leider habe ich nur Euro in der Tasche und die lehnt der Geschäftsinhaber kategorisch als Zahlungsmittel ab. Wenn der ahnen würde, wie viel mir jetzt ein Kaffee wert wäre. Ich schenke dem Burschen ein böses „Frohes Ostern“ und stehe dann wieder draußen in der Hitze rum. Es ist mittlerweile viertel vor elf, es ist immer noch Ostersonntag und ich träume von einem Osterspaziergang entlang der Osterglockenbeete in Osterdorf im Allgäu.
Aber in Wirklichkeit
stehe ich auf einer verstaubten und ausgestorbenen und glühend heißen Straße in einem Vorort von Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf.
Meine Laune
wird immer festlicher und ich trotte wieder Richtung Man’s House. Jetzt ist die Eingangstür offen, ich ziehe die Schuhe aus und trete ein. In Grönland ist es vermutlich jetzt im April wärmer als hier im Salon meines Gastgebers, der weiter auf sich warten lässt. Dafür ist sein schläfriger Koch, ein Inder, gerade dabei die dreckigen Tee- und Kaffeegläser vom Vorabend von den Tischen zu räumen. Ich bitte ihn sehr höflich um ein Frühstück. Und das kommt ruckzuck auf den Tisch. Ein schöner Nescafe und ein Folienteilchen aus dem Laden von gegenüber. Meine Laune bessert sich und ich frage den Koch, wann denn mein Gastgeber wohl erscheinen mag. „Mohammed kommt meistens so gegen zwölf,“ ist die knappe Antwort. Na dann kann ich ja noch ein knappes Stündchen vor mich hin zittern, denke ich und schaue mir das Man’s House mal genauer an. Neues gibt es leider nicht zu entdecken, alles wie in meinem Quartier, mit zwei Unterschieden. Es gibt ein Bataillon Wasserpfeifen in einer Ecke und ein riesiges Goldfischaquarium an der Stirnseite des Salons.
Gegen halb zwölf
kommen die ersten Besucher. Reiche Qataris männlichen Geschlechtes nutzen das Man’s House offensichtlich gleichermaßen als Club, Büro, Restaurant, Cafe und Begegnungsstätte. Vor der Tür werden die Schuhe, besser die Plastiklatschen ausgezogen und dann macht man es sich auf einem der Sofas gemütlich. Ein Wasserpfeifchen, ein Tee, ein iPad und zwei iPhones und schon kann der restliche Tag ins Land gehen. Gegen zwölf ist der Club ganz ordentlich gefüllt, ich werde höflich von jedem neuen Besucher begrüßt, aber dann auch schnell wieder links liegengelassen. Die Spielgeräte von apple fordern volle Konzentration. Ich geh vor die Tür zum Aufwärmen und stolpere über das billige Schuhwerk der Clubgänger.
Qatar
ist ein sehr reiches Emirat, Erdgas heißt das Zauberwort. Qataris müssen nicht arbeiten, müssen nicht schwitzen, müssen sich keine Sorgen machen. Aber sie müssen Breitling Uhren tragen, eine blasse Haut haben, gern auch mal ein wenig teigig, sich mit jedweder Form von Unterhaltungselektronik leidlich auskennen und einen richtig dicken Schlitten fahren. Das alles ist chic und gehört sich so. Wer sich aus unerfindlichen Gründen keinen dicken Schlitten leisten kann, dem schenkt der Emir, also der Chef des Emirats, einen. Warum aber müssen die Burschen alle derartig billige Schlappen an den Füßen tragen. Ihr weißes Gewand, die Dishdasha und ihr Kopftuch, die Gutra, sind immer blütenweiß und frisch gebügelt, aber das Schuhwerk.
In jeder abgeranzten Sauna
eines städtischen Hallenschwimmbads in Deutschland würde der Bademeister solche Latschen in die Tonne stecken. Wenn die Herren früher hoch zu Kamel durch die Wüste ritten, war das Schuhwerk vielleicht nicht so wichtig, aber heute? Im weißen Audi Q7 vorfahren und an den Füßen schwarze Kunstlederlatschen! Vielleicht sollte ich umsatteln. Ich bin hier um den Qataris in Sachen Fernsehproduktionen unter die Arme zu greifen, aber mit Schuhen kenne ich mich doch auch ganz gut aus, denke ich.
Um viertel nach zwölf fährt mein Gastgeber im weißen Porsche Cayenne vor. Mein erster Blick gilt seinem Schuhwerk und meine sich gerade entwickelnde Geschäftsidee bekommt neue Nahrung. Mohammed ist eine stattliche Erscheinung, groß und kräftig gebaut, nicht dick und natürlich traditionell gekleidet. Er begrüßt mich freundlich und bittet mich in sein Büro, das im hinteren Teil des Clubs liegt. Hier empfängt er seine Gäste, hier schaut er Fernsehen, hier liegen seine Handys und hier ist es noch etwas kälter als vorne im Salon. Sofort betritt ein indischer Angestellter den Raum und bringt Wasserpfeifen und süßen Tee.
Ich sitze wieder auf einem roten Plüschsofa,
vor mir eine Kleenex Box, über mir ein Pferd, rechts ein überdimensionierter Plasmabildschirm und links: da sitzt Mohammed hinter seinem riesigen, vergoldeten Schreibtisch. Auf dem liegen nur seine drei Handys und eine Kleenex Box, sonst nichts. Kein Stift, kein PC, kein Papier, kein Buch, keine Zeitschrift, schon gar kein Aktenordner. Mohammed nimmt sich ein Tuch aus der Box und beginnt sich genüsslich damit abwechselnd in beiden Ohren zu bohren. „Ich komme gerade vom Duschen,“ begründet er sein Tun. Wir betreiben ein wenig Smalltalk, immer wieder unterbrochen von Handyklingeln und kurzen Telefonaten in Arabisch. Ich verstehe „Bahnhof“, was nicht weiter tragisch ist, weil Mohammed auch am Telefon ein Freund der kurzen Ansagen ist. Wenn ich ihm aus Deutschland eine sms oder eine mail mit konkreten Fragen zu unserer möglichen zukünftigen Zusammenarbeit schicke, dann gibt es nur drei Möglichkeiten der Antwort:
Erstens: gar keine, zweitens: ein schlichtes und völlig nichtssagendes ok oder drittens: einen noch schlichteren, getippten Punkt.
Aber jetzt bin ich ja vor Ort und möchte so langsam konkret werden. Ich opfere schließlich meinen Ostersonntag für dieses Treffen am Golf.
„Mohammed,
wann ist mein Treffen mit Scheich Abdul heute vorgesehen?“ „Gegen zwei, wenn alles gut geht,“ erwidert Mohammed. Er ist zwar mein Gastgeber und dafür verantwortlich, dass ich mein Osterfrühstück heute im Man’s House genossen habe, aber er ist nur der Vermittler zwischen Scheich Abdul, dem örtlichen Fernsehchef, und mir. Mohammed ist spezialisiert auf das Einfädeln von Geschäften, dabei ist ziemlich egal, um welche Art von Geschäften es sich handelt, von daher sollte ich meine Idee „schöne Schuhe für die Scheichs“ unbedingt mit ihm zusammen in die Tat umsetzen. Mein Gespräch mit Mohammed ermüdet mich. Nach jedem von ihm gesprochenen Satz muss er mindestens fünf Minuten mit seinen drei Handys spielen. Aktienkurse abfragen, Termine für die nächste Falkenjagd checken, seiner Frau die Kreditkarte sperren, was weiß ich.
Der Koch des Man’s House
hat ein Einsehen mit mir und ruft zum Essen. Alle anwesenden Clubmitglieder versammeln sich im Esssalon, der sich vom normalen Salon lediglich hinsichtlich der Größe unterscheidet, ansonsten die gleichen Rösser an den Wänden und die gleichen Foteuilles an den Wänden. In der Mitte des Raumes wird auf dem Teppich serviert. Es gibt gebratenes Tier mit Reis, dazu Salat und als Getränk Cola aus der Dose oder Cola light aus der Dose.
Auf Besteck wird traditionell verzichtet, für mich kein Problem, ich kann auch mit den Händen essen, bin allerdings Linkshänder. Und mit der linken Hand zu essen ist in Arabien so, als würden sie sich mit der Klobürste die Zähne putzen.
Gottlob
bin ich nicht zum ersten Mal beim Muselmann, weiß also ob der Gefahr und setze meine rechte Hand in Szene. Das kostet mich all meine Konzentration, was nicht weiter tragisch ist, da meine Tischdeckennachbarn, wenn sie sich nicht gerade die Hand in den Mund schieben, alle mit ihren Handys zu Gange sind, ein Tischgespräch also vollkommen unangemessen wäre. Nach etwa acht Minuten macht eine Kleenex Box die Runde, danach werden die Hände im rechter Hand liegenden Bad ordentlich gereinigt und dann steht Müßiggang auf dem Programm, versüßt mit Tee, Wasserpfeife und Handy. Es ist zwei Uhr und ich schaue Mohammed an, aber der schaut sein Handy an, oder schließt die Augen und saugt an seiner Pfeife. Alle Sofas sind jetzt besetzt, beziehungsweise belegt, leichte Schnarchgeräusche, Händytöne und das Blubbern der Wasserpfeifen sorgen für eine fast festliche Stimmung.
Nur mein Scheich fehlt.
Der ist auch um drei und auch um vier Uhr noch nicht da, aber um viertel nach vier! Aber für eine sofortige Audienz ist es doch noch zu früh, zuerst muss er mit Mohammed konferieren, dann muss er essen und Wasserpfeife rauchen und dann wird es langsam dunkel und ich darf weiter meiner neuen Lieblingsbeschäftigung frönen: raus in die Hitze treten, Plastiklatschen an der Eingangstür zählen, dann wieder eintreten und Goldfische zählen.
Um kurz vor sechs ist es soweit.
Der Termin, für den ich diese Reise angetreten habe, steht unmittelbar bevor. Mohammed richtet mir aus, dass der Scheich im Wohnzimmer des Gästehauses auf mich wartet. Seine Latschen stehen vor der Tür, ich stelle meine Schuhe dazu und trete ein. Scheich Abdul ist ein unscheinbarer Mann, traditionell gekleidet, mit randloser Brille und bleicher Gesichtshaut. Ein bisschen frische Luft würde ihm gut tun. Wir begrüßen uns und ich erkläre ihm in circa drei Minuten, warum ich die perfekte Wahl für seine frisch zu besetzende Stelle als Berater seines neuen Fernsehsenders bin. Während meiner kurzen Rede wird er einmal auf seinem Handy angerufen und muss selber ein dringendes Telefonat führen. Dann führen wir ein kurzes Gespräch, in etwa mit folgendem Wortlaut. Scheich Abdul: „Das hört sich sehr interessant an.“ Ich: „Freut mich sehr, dass Ihnen meine Vorstellungen gefallen.“ Scheich Abdul: „Können Sie sich vorstellen, hier zu arbeiten? Und wann könnten Sie beginnen?“ Ich:“ Natürlich sehr zeitnah, sonst wäre ich nicht zu diesem Gespräch gekommen. Wenn wir die Formalitäten zügig klären und Ihnen meine Gehaltsvorstellungen zusagen, kann ich in vier Wochen bei Ihnen beginnen.“ Scheich Abdul: „Dann werde ich Ihnen in den nächsten Tagen konkrete Unterlagen mit unseren Vorstellungen zusenden. Dann treffen wir uns noch einmal hier und dann kann es losgehen.“
Ich: „Wunderbar.“
Dieses Gespräch wird von keinem einzigen Handyton unterbrochen. Scheich Abdul kann sich mir ganz widmen, für eben dieses Gespräch, also circa sechzig Sekunden. Nach meinem „wunderbar“ ist aber auch Schluss mit der Ruhe, Mohammed tritt ein und drei Freunde von ihm. Man schwadroniert auf arabisch los, macht sich auf neue Apps aufmerksam und ordert Wasserpfeifen.
Ich habe ausgedient,
werde links liegen gelassen, interessiere nicht mehr, bin Luft – kalte Luft. Meine Reisetasche ist schnell gepackt, ich gebe Scheich Abdul noch meine Visitenkarte und er gibt mir seine und versichert mir, dass ich in wenigen Tagen ein konkretes Angebot von ihm erhalte und dann heißt es „Salam“ und weg bin ich im weißen Bentley Richtung Flughafen.
Eine Nacht und ein Tag in Arabien waren keine Reise wert, denke ich auf der Fahrt, aber vielleicht kommen ja noch 1001 Nacht.
Ich erhalte kein Angebot, ich erhalte ein „ok“ und einen „Punkt“ von Mohammed – im Abstand von vier Wochen, dann ist Funkstille. Wie gerne hätte ich dem Scheich zumindest ein paar neue Schlappen spendiert.
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Interner Link:
Habibi Land Ägypten
Reiseinfos:
https://visitqatar.com/