Afghanistan

gestern und heute!

Ein leeres Land, ein weites Land, mal brüllend heiß, dann wieder beißend kalt. Gerade, perfekt geteerte Straßen, hunderte Kilometer lang, in der Nähe der wenigen Städten von Schatten spendenden Bäumen gesäumt. Die Landschaft, mal Sandwüste, mal Felsengebirge. Von tief verschneit bis in der Hitze flimmernd. Afghanistan im Herbst und Winter 75.

Landschaft in Afghanistan
Solche Landschaften hatten wir zuvor noch nie gesehen.

Wir waren zwanzig und hatten keine Ahnung,

aber ein Ziel: auf dem Hippie Trail nach Kathmandu um mit dem Yeti „Skat zu kloppen.“ Auf dem Weg lag Afghanistan, für uns war das erstmal ohne Belang. Wir wussten, dass wir hindurchfahren mussten. Mehr wussten wir nicht. Dass es 1973 einen Staatsstreich gegen den König gegeben hatte, sein Cousin Daoud Khan seitdem alle wichtigen politischen Ämter in Personalunion innehatte und sich in der Folgezeit zu einem ziemlich miesen Diktator entwickelte – all das hatte unser Bewusstsein kaum oder gar nicht berührt. Wir hatten uns als Bademeister Geld verdient, wir hatten einen alten VW-Bus für 1500 Mark gekauft, wir hatten ein Carnet de Passage für die zollfreie Ein- und Ausführung unseres Autos erworben und wir hatten uns vom ADAC einen Routenplan zuschicken lassen. Wir, das waren mein Freund Christoph, genannt Kiki, und ich.

Auf dem Hippie Trail nach Kathmandu
Kiki
Auf dem Hippie Trail nach Kathmandu
Mikka

Am 09.10. 1975 erreichten wir die persisch/afghanische Grenze.

In meinem Tagebuch schreibe ich damals:

„Gegen vier Uhr sind wir an der Grenze. Der Zöllner kann unser Visum nicht lesen und will, dass wir uns in Teheran ein Neues holen. Wir setzen den Idioten in unseren Bus und fahren zu einem abgelegenen Gebäude, in dem sein Chef sitzt. Der kann lesen. An acht verschiedenen Stellen muss ich anschließend Stempel holen, immer wieder warten und unsinnige Formulare ausfüllen. Die Zöllner sind verlumpte Gesellen. Die Grenze schließt früher als sonst, den Strom ist ausgefallen. Wir sind das letzte Auto, das passiert. Die Straße nach Herat ist ohne jeden Verkehr.

Afghanistan in den 70iger Jahren
Weites und leeres Land
Witzbold am Wegesrand

Dort wird uns ziemlich schnell klar, dass nicht alle Afghanen so dumm sind wie die Zöllner. Herat ist eine farbenfrohe Stadt mit riesigem Bazar, in dem man alles kaufen kann, sogar französische Gitanes Zigaretten. Wir trinken Tee bis spät in die Nacht“.

Und verliebten uns in Afghanistan,

nicht in eine vorbeilaufende Hippiebraut vor Ort, sondern in das Land und seine Menschen.

Erfahrungen und Eindrücke sammeln im Sekundentakt. Wir waren auf alles gespannt, auf alles neugierig und umgekehrt ging es den Afghanen mit uns genauso, zumindest den Männern und den Kindern. Frauen spielten auch seinerzeit schon keine aktive Rolle in der Öffentlichkeit, außer in der Hauptstadt Kabul.

Traditionelles Afghanistan
Frauen huschen vorbei.

Wir genossen die Tage mit Handeln und Tee trinken in den Bazaren, Essen in den gemütlichen, verrauchten Restaurants und einfach in der Sonne sitzen und mit Afghanen über Allah und die Welt quatschen, ganz gleich, ob in Herat, Kandahar oder Kabul, den drei großen Städten auf unserer Route.

Afghanistan im Winter
Eindrücke, die nicht verblassen
Winter-Wunderland

Und natürlich rauchten wir, nicht nur Gitanes!

Solange wir nicht mit offiziellen Stellen (Banken, Immigration Office) Kontakt aufnehmen mussten, trafen wir ausschließlich auf aufregende, gastfreundliche und aufgeschlossene Menschen (Männer). Das war vier Jahre später, als ich mit meiner blonden Freundin (und jetzigen Frau) wieder durch Afghanistan fuhr, kaum anders. Unverschleiert, mit Rock und Schulterbedeckung, konnte sie sich auch im traditionellsten Bazar ungestört bewegen.

Blühende Wüsten in Afghanistan
Die Sand- und Steinwüste blüht nach Regen auf.

Außerhalb der Städte gab es nur unendliche und schön Landschaft, die mit Genesis und Fink Floyd Musik in den Ohren noch schöner wurde. Ich war im Jahr zuvor durch Frankreich getrampt, da war Afghanistan eine andere Nummer.

Räudi

Weihnachten 1975

verbrachten wir gezielt im herrlich verschneiten Kabul, mit Zimtschnecken zum Frühstück aus der örtlichen Bäckerei und Wiener Schnitzel am Abend. Und ein Weihnachtsgeschenk machten wir uns auch, gegenseitig. Wir kauften uns einen verlausten, halb verhungerten, kleinen Afghanen – einen Hund. 30 Dollars investierten wir in die kleine Töle. Die uns prompt den Bus vollgeschissen hat. Wir nannten ihn Räudi, später tauften wir ihn in Rüdiger um.

Das war Afghanistan für uns in den 70iger Jahren: völlig unbeschwert und ziemlich nah an einem Land wie aus Tausendundeiner Nacht.

Im Winter 75 durch Afghanistan
Auf der Rückfahrt im winterlichen Afghanistan

Und heute, 45 Jahre später?

Nachdem Russen, Amerikaner und wir dort ihr Mütchen gekühlt haben, ihre Rache für Nine Eleven an 30 Millionen Menschen genommen haben.

Ein Land nicht am, sondern im Abgrund.

Laut Nothilfebüro der Vereinten Nationen sind in diesem Jahr mehr als 50 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Vielleicht haben wir ja unsere Lektion jetzt endlich gelernt. Dass wir keine ewigen Heilsbringer für den Rest der Welt sind, dass wir nicht allein die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und dass unsere Sicherheit definitiv nicht am Hindukusch verteidigt werden muss (aus Reg. Erklärung von P. Struck 11. März 2004).

Wir wollten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit westlicher Prägung in Afghanistan mit militärischen Mitteln durchsetzen. Das ist zu hundert Prozent mißlungen. Da kann Frau Merkel noch so oft betonen, dass nicht alles schlecht gewesen sei am Einsatz in Afghanistan.

Und final sei angemerkt: Die Taliban hatten und haben ein Gesellschaftsmodell, das wir ablehnen, das aber von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptiert wird. Eine Tatsache, auch wenn sie ein Schlag ins Gesicht aller Frauen in Afghanistan darstellt, die für ein wenig Selbstbestimmung und Toleranz kämpfen und ihr Leben gefährden.

Von alten Zeiten: interner Link: Überland nach Kathmandu

Und hier ein Link zur ARD Mediathek: Afghanistan – das verwundete Land / 4 Folgen/sehenswert!!!

bis 15.10.2021 in der Mediathek verfügbar!

https://www.ardmediathek.de/sendung/afghanistan-das-verwundete-land/staffel-1/Y3JpZDovL25kci5kZS80Njc4/1/

Khyber Pass Richtung Pakistan
Über den Khyber Pass durch Pakistan und Indien bis nach Kathmandu

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

Comments (3)

  1. Anonymous

    ja wunderbar unsere Welt. Toll dass ihr sie so gesehen habt. Auf was wurde dieses Land in den letzten Jahren reduziert?

  2. Toller Artikel!

  3. toller post. macht einen etwas schwermütig aber faszinierend die alten fotos

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert