Krummer Rücken-

Kurzgeschichte – Krummer Rücken – Furche um Furche kämpft sich der bärenstarke John Deere vom östlichen Ackerende an der Landstraße Richtung Waldrand. In der Kabine dudelt WDR2 vor sich hin, eine russische Maschine mit einem Armeechor an Bord ist ins Schwarze Meer gestürzt und auf den Straßen NRW’s gibt’s gerade mal drei Staus, Corona eben.

Es regnet natürlich genau jetzt, wo er sein Feld auf Vordermann bringen will. Ja, die App mit dem Regenradar hatte es vorhergesehen, aber der Wildschweinbraten hatte ihm schon zum Hals herausgehangen, bevor er noch im Ofen steckte. Und das Gezeter seiner Alten, seit 40 Jahren immer dieselbe Leier. Wenigstens zu meinem Geburtstag mal saubere Fingernägel, ist doch nicht zu viel verlangt, das Feld kann auch bis übermorgen warten, heute rufst du deine Tochter an, dafür werd ich sorgen.

Und dann die Krönung:

Du hast über 300 PS unterm Arsch und mir kaufst du so ein Elektromobil, das mit seinem Viertel PS nur im Schneckentempo den Berg hochkommt. Kann er was dafür, dass ihr Rücken nicht gehalten hat. Und kann er was dafür, dass sie auseinanderfällt, oder dass sie früher schon klein war und heute dazu noch krumm. Jetzt zieht der Regen in breiten Bändern übers Feld, die Tomburg verschwindet hinter Wolkenfetzen, ob oberhalb in Todenfeld der Regen in Schnee übergeht?

Tomburg bei Rheinbach
Tomburg

Im Radio

singt ein Blödmann wie schwer es ihm fällt, so plötzlich allein durchs Leben gehen zu müssen. Soll doch froh sein, der Blödmann. Die Furchen ziehen sich und das Tageslicht spart an allen Ecken und Enden bis die Dämmerung gewinnt. Das letzte Stück Feld muss er für morgen liegenlassen oder für übermorgen. Er könnte auch heute fertig werden, aber sein Bauch stoppt ganz unbarmherzig seinen Arbeitswillen.

Die Wildsau im Ofen,

jetzt plötzlich lacht sie ihn an. Er stellt den Vierscharflug hoch, schaltet die Scheinwerfer ein und donnert über den Feldweg zum Hof zurück. Totenstille weit und breit. Niemand führt den Hund aus, stellt die Mülltonne raus, holt Holz für den Ofen aus der Garage. Rückwärts fährt er sein grünes Monster in die offene Scheune, verriegelt die Kabine, stapft mit seinen verlehmten Gummistiefeln über die schmale Straße und sieht seine Alte über den Hof durchs Fenster am Herd hantieren.  Er sieht ihren krummen Rücken, darauf den Schürzenknoten und riecht die Sau, ihr süßes Parfüm und die Katzen im kalten Hausflur.

Und seine Laune sackt in den Keller.

Da, wo sie immer ist an diesem Tag, aber heute ist der Keller besonders tief. Jetzt steht die Alte im Flur, er sieht ihre Schürze von vorn, mit frischen Saucenflecken, ihre roten Hände wischt sie nochmal ab. „Zieh die Galoschen aus und mach dich sauber. In zehn Minuten gibt’s Essen.“ Heck schaut durch sie durch gegen die Wand, unter der der Katzenkorb steht, schmeißt die Galoschen in den Korb unter der Garderobe, wischt sich die Hände an der Hose ab und schlurft zur Küche an den Tisch. Das weiße Geschirr und das schwere Silberbesteck sind akkurat arrangiert. Er setzt sich auf die Bank, rückt sich das Kissen unterm Hintern zurecht und wartet auf die Sau aus dem Ofen. Sie hat Weingläser gedeckt, aber er hat Lust auf Bier aus der Flasche.

„Hast du ein Bier?“

„Hol‘s dir selber, ich kann nicht alles gleichzeitig.“ Die Alte kniet vor dem Ofen, der heißen Dampf ausspeit und begießt die Sau nochmal mit Sud. Er geht zum Kühlschrank, holt sein Bier und nimmt auf dem Rückweg die angebrochene Rotweinflasche von der Anrichte mit. Sie stellt die Schüsseln mit Rosenkohl und Kartoffeln aus dem eigen Garten auf den Tisch, anschließend wuchtet sie den Braten aus dem Ofen und packt ihn zum Aufschneiden auf das dicke Holzbrett, holt das Apfelkompott aus dem Kühlschrank, macht die Sauce, während er zum Küchenschrank stapft, die Klinge wetzt und den Braten teilt. „Setz dich und fang schon an, sonst werden die Kartoffeln kalt.“

Er hasst kalte Kartoffeln,

noch mehr hasst er halbgare Kartoffeln. Dann sitzen sie gemeinsam am Tisch, keiner redet, was auch. Dass die Kinder nicht da sind, auch kein Enkelkind, dass sich dieser Ehrentag anfühlt wie nasskalter Nebel, alles schon lange nicht mehr der Rede oder irgendwelcher Gedanken wert. Schweigend und auf den Nachtischlöffel starrend geht das Mahl zu Ende. Sie macht anschließend die Küche und er sich für die Kirche fertig.

Gläubig ist er nicht,

aber seit 30 Jahren im Kirchenvorstand. Für sie dauert die Samstagabendmesse zu lange, sie müsste zwischendurch aufs Klo. Um neun geht sie mit schmerzender Hüfte durch die alte Milchküche, die heute als Waschküche und Abstellraum dient, weiter in den Schweinstall und sorgt wenigstens dort mit einem Eimer Karotten für Geburtstagstimmung. Dann humpelt sie in den ersten Stock, macht eine Katzenwäsche und legt sich hin. Er hockt hinten in der Kirchenbank und lässt die Messe über sich ergehen, die Predigt schwänzt er und steht stattdessen in der Kälte vor der Tür. Bis zur Kommunion hält er noch durch, dann zieht es ihn aufs Kordsofa vor die Glotze, zu seiner Flasche Korn. Irgendwann nach Mitternacht döst er weg, die alte gelbe Wolldecke hat er sich vorher noch über die Füße und Beine geworfen.

Gegen sechs hört sie ihn im Schweinstall brüllen.

Wahrscheinlich haben die Säue ihm beim Stall Ausmisten im Weg gestanden und er hat sie mit der Mistforke in die Enge getrieben und ihnen dabei ein paar ordentliche Stiche verpasst. Hass auf beiden Seiten und oben zieht sie sich den Morgenmantel über, stapft die Treppen hinunter, greift sich in der Milchküche die Spaltaxt, mit der sie seit 15 Jahren das Holz für den großen Ofen im Flur hackt und steht dann hinter ihm. Er kann sie nicht hören und sehen, die Schweine schreien und quieken und er bückt sich über den großen Trog und füllt ihn mit Trockenfutter. Sie schwingt die Axt beschwingt über den Kopf und lässt sie Zentimeter genau in seinen schwülstigen Nacken und Hinterkopf sausen.

Er fällt auf die Knie,

dann seitlich in die Güllerinne und bleibt reglos liegen, Blut pocht aus der klaffende Wunde. Erst schaut sie fasziniert, wie still er ist. Sie sammelt all ihre Kraft, öffnet das Gitter zum Stall, scheucht die Schweine an die Wand, packt ihn am linken Gummistiefel und zerrt seinen massigen Körper hinter das Gitter zu den Schweinen, holt erst jetzt die Axt aus seinem Kopf und schließt die Viecher wieder ein. Mit dem Schlauch aus der Milchküche spritzt sie das Blut und den Mist auf dem Gang in die Güllerinne, wirft ein wenig frisches Stroh hinterher, zieht ihre Clogs von den Füßen, verlässt den Stall, wäscht die Axt mit Seife im Becken in der Milchküche, stellt sie in die Ecke und zieht sich dann vor der Ofenklappe im Flur aus.

Den Morgenmantel legt

sie mit der Innenseite nach außen auf den Boden, wirft die Clogs und ihre Unterwäsche darauf und steckt dann den ganzen Haufen in den Ofen, der über Nacht durchgebrannt hat. Mit trockenen Buchenscheiten legt sie nach, öffnet die Belüftungsklappe, schließt die Ofentür und geht duschen. Dann ruft sie ihre Tochter Pia in Aachen an und bittet sie, sie abzuholen.

Sie macht sich richtig fein,

packt ihre kleine Reisetasche, die seit über 20 Jahren im Schlafzimmer hinterm Kleiderschrank lag und ist nach einer halben Stunde abholfertig. Dann stocht sie noch einmal den Ofen durch, zieht sich ihre guten Winterstiefel an, verschließt den Hof und wartet die restlichen Minuten an der Straße. Pia war und ist eine Pünktliche, sie umarmt ihre Mutter, schaut ihr ins müde Gesicht und weiß, dass sie auf Fragen keine Antwort erhält. Am Mittag sitzen sie mit den Kindern am Tisch, während Pias Mann in der Küche zaubert.  „Pia, sag ehrlich, darf ich ein paar Wochen bei euch wohnen, wenn ich am Hof alles geklärt habe?“

Jetzt sieht Pia

ein Flehen in ihren Augen, sonst nichts. „Na logisch, nur wie willst du das schaffen – mit Papa?“ „Ich werd das schaffen, Hauptsache ich darf erstmal zu euch!“ Am nächsten Tag fährt Pia sie zurück. Vor der Tür umarmen sie sich, wie viele Jahre nicht mehr. Sie öffnet, stellt ihre Tasche ab, hört den Krach der hungernden Schweine, geht in den Stall, sieht die wenigen Reste von ihm zwischen den Sauen verteilt und ruft die 112 an.

Sie erzählt ihre Geschichte,

im Stall sind zig Menschen am Werk. Alle suchen nach der Todesursache, nur wie finden in diesem Schweinestall. Nach sieben Tagen werden die wenigen Leichenreste freigegeben, nach zehn Tagen werden sie bestattet und nach vierzehn Tagen zieht sie zu Pia.

Noch eine Kurzgeschichte lesen?

Eisiges Grab

Und noch mehr Geschichten von mir unter:

https://www.rowohlt.de/buch/mikka-bender-is-nebensaison-da-wird-nicht-mehr-geputzt-9783644444614

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

Comments (4)

  1. Toller Kurzkrimi aus dem Land der Liebe, wie die Wormersdorfer ihre Heimat bescheiden nennen. Der Titel könnte alse auch heißen : „Mord im Land der Liebe“

  2. Sehr schöne Kurzgeschichte aus dem Lande der Liebe, wie die Wormersdorfer ihre Heimat bescheiden nennen. Titel könnte also auch lauten: „Mord im Land der Liebe“

  3. Upps, Sonntag Abend: Tatort ?das ist jetzt eine andere Kategorie. Und das im idyllischen Wormersdorf oder so

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