Als am letzten Tag der Olympischen Spiele die Marathonläuferinnen in Paris am Start standen, waren bei mir schon die ersten Kilometer abgearbeitet – bei meinem Marathon in der Eifel. Um drei Uhr in der Früh hatte der Wecker geklingelt. Nicht zu meinem Leidwesen. Nach 14 Tagen Olympia war ich wund gelegen und ganz ehrlich:
Ein Leben ohne Esther Sedlaczek, Norbert König und Katrin Müller-Hohenstein ist auch vorstellbar!
Ich habe mir sicherheitshalber ein paar Moderationen der drei gute Laune Bär:innen aufs Handy gepackt. Für den Notfall, wenn ich mal nicht schlafen kann. Oder ein paar tröstende und aufbauende Worte für einen Rauhaardackel benötige. Ich fand Olympia toll, ich habe sogar die Rhythmische Sportgymnastik angeschaut. Weil ich bei vielen Sportarten wegen meines final erfolgreich absolvierten Sportstudiums mitreden kann, eben auch bei der Rhythmischen Sportgymnastik. Ich bin mit meiner Kür seinerzeit auch vor vollem Hause aufgetreten.
Es war eine Stimmung wie in Paris, ich erinnere mich genau.
Meine Kür dauerte 2 Minuten, auf Musik von Stevie Wonder. Ich habe den Ball in dieser Zeit 12 Mal verloren, ich bin bei einer versuchten Pirouette umgefallen und bei drei schnellen Drehungen hintereinander vor lauter Schwindel auf die mit Zuschauer:innen besetzte Turnbank am Mattenrand gekippt. Das Publikum feuerte mich frenetisch weiter an. Es passierte allerdings nicht mehr viel, ich hatte spontan, aber wohl überlegt, alle Höchstschwierigkeiten aus meiner Kür gestrichen, ging nur noch mit Ball im Kreis und fiel dabei auch nicht mehr um. Das fanden die Mädels und Jungs auf der Tribüne extrem doof.
Aber ich hatte mein Bestes gegeben und hatte mir nichts vorzuwerfen.
Das fanden die Juroren auch und schickten mich in ein weiteres Gymnastik-Semester. Ich habe mir sofort eine Trainerin besorgt, meine Frau. 10 Tage später habe ich mich von ihr getrennt, als Trainerin. Sie hatte lauthals losgelacht, als ich die Keulen zu schwingen begann.
Zurück zu meinem letzten Olympia Sonntag.
Banane im Bauch, Kaffee im Kopf und in den Beinen eine unbändige Lust in die Bewegung zu kommen. Bei 1500 anderen Menschen muss die Situation eine Ähnliche gewesen sein. Um 6.15 Uhr fiel der Startschuss in Konzen, einem Ortsteil von Monschau. Zum 6. Mal für mich, glaube ich. Wir rannten, walkten, trödelten los.
Ich hatte den Genuss Marathon in der Walking Variante gebucht,
andere wollten sich auf der 56 oder sogar 70 Kilometer Strecke beweisen.
Jetzt muss man sagen: Auf so einem Feld, Wald und Wiesenmarathon passiert nicht viel und es gibt auch nicht viel zu sehen, außer eben Felder, Wälder und Wiesen. Trotzdem schön, weil Sonne in den Augen und keine Esther Sedlaczek im Ohr. Vereinzelt saßen oder standen Zuschauer am Wegesrand, die spendeten manchmal Beifall und wir bedankten uns artig dafür. So ist das in der Eifel.
Ich bekam ab Kilometer 27 so allmählich die Quittung für mein intensives Sofaliegen der letzten zwei Wochen und hätte schon gerne eine Holzbank am Wegesrand für eine kleine Rast genutzt, aber da war er wieder: der Ehrgeiz, der mich seinerzeit auch erfolgreich durch die vierte Wiederholung der Gymnastikprüfung getragen hatte.
In Kalterherberg war die Dorfstraße noch immer so elendig lang wie eh und je. Abwechslung und Kühlung verschafften ein paar mobile Duschen, von heimischen Menschen freundlichst bedient.
Ab jetzt war mein Fokus nur noch auf den Friedhof von Konzen ausgerichtet. Sobald der ins Blickfeld rückt, ist das Marathon Ziel nach 42,195 km erreicht. Wenn Norbert König vom ZDF da gewesen wäre und mich gefragt hätte: Jetzt haben Sie fast sechseinhalb Stunden gebraucht, sind nicht mal unter den ersten 100 im Ziel. Wie gehen Sie mit der Enttäuschung um? Nehmen Sie uns doch mal mit. Und finden Sie Trost bei der Familie, die habe ich doch eben schon auf der Tribüne gesehen. Dann hätte ich bestimmt gesagt: Ich habe alles gegeben, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Der Wind blies immer von vorne. Aber ich komme wieder: schneller, besser, älter.
Und jetzt gehe ich zu meiner Familie und lass mich trösten. So ist es glücklicherweise nicht gekommen. König war gerade in Rente gegangen und meine Familie hatte Besseres zu tun.
Link für den Naturpark Eifel, denn die Eifel ist auch ohne Marathon viele Wanderungen wert
Lieber Michael, wie immer ein pfiffig geschriebener Bericht, ganz nach meinem Geschmack. Zum Marathon hat es bei mir nie gereicht, ein Haribo-Halbmarathon im Kottenforst hat mir Anfang meiner Zwanziger gereicht. Um deine Energie und Leistungsfall beneide ich dich.
Als am letzten Tag der Olympischen Spiele die Marathonläuferinnen in Paris am Start standen, waren bei mir schon die ersten Kilometer abgearbeitet – bei meinem Marathon in der Eifel. Um drei Uhr in der Früh hatte der Wecker geklingelt. Nicht zu meinem Leidwesen. Nach 14 Tagen Olympia war ich wund gelegen und ganz ehrlich:
Ein Leben ohne Esther Sedlaczek, Norbert König und Katrin Müller-Hohenstein ist auch vorstellbar!
Ich habe mir sicherheitshalber ein paar Moderationen der drei gute Laune Bär:innen aufs Handy gepackt. Für den Notfall, wenn ich mal nicht schlafen kann. Oder ein paar tröstende und aufbauende Worte für einen Rauhaardackel benötige. Ich fand Olympia toll, ich habe sogar die Rhythmische Sportgymnastik angeschaut. Weil ich bei vielen Sportarten wegen meines final erfolgreich absolvierten Sportstudiums mitreden kann, eben auch bei der Rhythmischen Sportgymnastik. Ich bin mit meiner Kür seinerzeit auch vor vollem Hause aufgetreten.
Es war eine Stimmung wie in Paris, ich erinnere mich genau.
Meine Kür dauerte 2 Minuten, auf Musik von Stevie Wonder. Ich habe den Ball in dieser Zeit 12 Mal verloren, ich bin bei einer versuchten Pirouette umgefallen und bei drei schnellen Drehungen hintereinander vor lauter Schwindel auf die mit Zuschauer:innen besetzte Turnbank am Mattenrand gekippt. Das Publikum feuerte mich frenetisch weiter an. Es passierte allerdings nicht mehr viel, ich hatte spontan, aber wohl überlegt, alle Höchstschwierigkeiten aus meiner Kür gestrichen, ging nur noch mit Ball im Kreis und fiel dabei auch nicht mehr um. Das fanden die Mädels und Jungs auf der Tribüne extrem doof.
Aber ich hatte mein Bestes gegeben und hatte mir nichts vorzuwerfen.
Das fanden die Juroren auch und schickten mich in ein weiteres Gymnastik-Semester. Ich habe mir sofort eine Trainerin besorgt, meine Frau. 10 Tage später habe ich mich von ihr getrennt, als Trainerin. Sie hatte lauthals losgelacht, als ich die Keulen zu schwingen begann.
Zurück zu meinem letzten Olympia Sonntag.
Banane im Bauch, Kaffee im Kopf und in den Beinen eine unbändige Lust in die Bewegung zu kommen. Bei 1500 anderen Menschen muss die Situation eine Ähnliche gewesen sein. Um 6.15 Uhr fiel der Startschuss in Konzen, einem Ortsteil von Monschau. Zum 6. Mal für mich, glaube ich. Wir rannten, walkten, trödelten los.
Ich hatte den Genuss Marathon in der Walking Variante gebucht,
andere wollten sich auf der 56 oder sogar 70 Kilometer Strecke beweisen.
Jetzt muss man sagen: Auf so einem Feld, Wald und Wiesenmarathon passiert nicht viel und es gibt auch nicht viel zu sehen, außer eben Felder, Wälder und Wiesen. Trotzdem schön, weil Sonne in den Augen und keine Esther Sedlaczek im Ohr. Vereinzelt saßen oder standen Zuschauer am Wegesrand, die spendeten manchmal Beifall und wir bedankten uns artig dafür. So ist das in der Eifel.
Ich bekam ab Kilometer 27 so allmählich die Quittung für mein intensives Sofaliegen der letzten zwei Wochen und hätte schon gerne eine Holzbank am Wegesrand für eine kleine Rast genutzt, aber da war er wieder: der Ehrgeiz, der mich seinerzeit auch erfolgreich durch die vierte Wiederholung der Gymnastikprüfung getragen hatte.
In Kalterherberg war die Dorfstraße noch immer so elendig lang wie eh und je. Abwechslung und Kühlung verschafften ein paar mobile Duschen, von heimischen Menschen freundlichst bedient.
Ab jetzt war mein Fokus nur noch auf den Friedhof von Konzen ausgerichtet. Sobald der ins Blickfeld rückt, ist das Marathon Ziel nach 42,195 km erreicht. Wenn Norbert König vom ZDF da gewesen wäre und mich gefragt hätte: Jetzt haben Sie fast sechseinhalb Stunden gebraucht, sind nicht mal unter den ersten 100 im Ziel. Wie gehen Sie mit der Enttäuschung um? Nehmen Sie uns doch mal mit. Und finden Sie Trost bei der Familie, die habe ich doch eben schon auf der Tribüne gesehen. Dann hätte ich bestimmt gesagt: Ich habe alles gegeben, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Der Wind blies immer von vorne. Aber ich komme wieder: schneller, besser, älter.
Und jetzt gehe ich zu meiner Familie und lass mich trösten. So ist es glücklicherweise nicht gekommen. König war gerade in Rente gegangen und meine Familie hatte Besseres zu tun.
Link für den Naturpark Eifel, denn die Eifel ist auch ohne Marathon viele Wanderungen wert
https://www.naturpark-eifel.de/de/landschaften/hohes-venn/
Und noch Lust auf eine weitere Marathongeschichte?
Marathon am Everest:
Comments (4)
Interview mit Norbert König ist umwerfend!
Genauso hat er jeden armen Sportler gequält!! Ich habe mich amüsiert 😅
Gibt es ein Video oder zumindest ein Photo von Mikka im TüTü?
Du hast uns aus der Seele geschrieben 😉👍
Lieber Michael, wie immer ein pfiffig geschriebener Bericht, ganz nach meinem Geschmack. Zum Marathon hat es bei mir nie gereicht, ein Haribo-Halbmarathon im Kottenforst hat mir Anfang meiner Zwanziger gereicht. Um deine Energie und Leistungsfall beneide ich dich.
Gruß … Rainer