Corona Hüfte

Laut Wikipedia: ist die Corona Hüfte ein eher knöchernes Körperteil mit verbindender Funktion, dass sich verstärkt weigert die ihm zugeteilten Arbeiten zu verrichten. Diese Protesthaltung, in Kombination mit den, der Corona Pandemie geschuldeten, Über- (Krankenhäuser mit Corona Abt.) bzw. Unterbelegungen (Kliniken ohne Corona Abt.) in Krankenhäusern mit angeschlossener Orthopädie/Chirurgie lassen Hüften mit nahendem Verfallsdatum zu Corona Hüften werden. Sie fallen dem Lockdown zum Opfer, ihnen wird fristlos gekündigt. Sie verlieren ihre Jahrzehnte alte Heimstatt, sie werden rausgeschmissen bzw. herausgesägt und durch eine Kunsthüfte ersetzt.

Hüftkopf mit Arthrose
altes Teil

Ich war bis vor 14 Tagen im Besitz einer Corona Hüfte – jetzt bin ich es nicht mehr.

Das Röntgenbild sprach Bände, meine ungezählten Trekkingtouren/Marathonläufe/Gewaltmärsche hatten Spuren hinterlassen, die es zu beseitigen galt. Wann, wenn nicht jetzt, mitten im Lockdown! „Knast“ ist gerade überall, war mein Gedanke. Ohne Lockdown hätte ich dem guten Stück vielleicht noch eine Gnadenfrist gewährt, aber so?

Tag 1

Ich packte mein Bündel und zog ein, in ein Krankenhaus am Rande der Stadt und inmitten von Wald und Flur.

BDH Klinik in Waldkirch
BDH Klinik Waldkirch

Ein kleines Krankenhaus mit bestem Ruf in Sachen Hüfte, Knie und Co.

Meine erste Nacht in einem Krankenhaus, mein Zimmerkollege, mit Namen Stahl, Wolfgang Stahl, hatte auch Hüfte, dazu aber noch sieben weitere Baustellen.

Tag 2 (21.4.2021)

Am Morgen: Rasur, Netzslip, großes Kreuz mit Kugelschreiber auf rechtem Bein und Küchenkittel. Und eine Bettfahrt durch die Gänge. Ich wollte ein letztes Mal zu Fuß gehen oder hüpfen oder laufen, aber man ließ mich nicht. Meine Schwester Veronika, die hier am Rande der Stadt seit vielen Jahren arbeitet und mir die Operateurin ans Herz und jetzt an die Hüfte gelegt hatte, verstand bei ihrer letzten Ansage keinen Spaß. „Du benimmst dich hier, klar?!“

Ich habe mich benommen, der sehnige Narkosearzt leistete saubere Arbeit. Ein lallender Satz von mir und ich rauschte ins Land der Träume und Traumata. Auch Frau Doktor machte einen wirklich guten Job. Sie holte meine Corona Hüfte aus einem ziemlich kleinen Loch im vorderen, oberen Oberschenkel und steckte genau dort eine Neue rein, ohne Zement und ohne viel kaputt zu machen!

Fachleute sprechen hier von minimalinvasiver Operation!

Später bin ich aufgewacht, ziemlich langsam und ziemlich sabbernd. Schlecht war mir auch, aber das gehört so, hatte Veronika gesagt. Es hingen noch ein paar Schläuche und Flaschen um mich herum, die meinen Bewegungsradius arg beschnitten hätten, wenn ich denn bereit gewesen wäre, diesen auch voll umfänglich zu nutzen.

Zwieback ist die erste feste Nahrung nach der OP
Etwas fies, wie mich diese Kinderfresse angegrinst hat

Ich bekam ein Einzelzimmer mit Balkon und Zwieback und freundete mich mit meiner neuen Hüfte an. Leistung brachte sie noch keine, ich musste ihr mit Krücken auf die Sprünge helfen. Nachts gelang mir das nur ungenügend, entsprechend nahm ich das Urinflaschenangebot an. Leider, denn die Plastikpulle gab in der zweiten Nacht den Geist auf, also sie brach in zwei Teile auseinander. Details tun hier nichts zur Sache. Der Kommentar der herbeigerufenen Nachtschwester: „Das hab ich ja noch nie gesehen“. „Ich auch nicht,“ fiel mir dazu nur ein. Am nächsten Tag konnte ich den Kittel schon beiseitelegen und mich unten herum wieder ordentlich kleiden und ich lernte richtig gehen, an zwei Krücken, an einer Krücke und nach 5 Tagen hatte es sich ausgekrückt.

Nach Hüft OP mit Krücke
Kurz vor der „Auskrückung“

Ich traf Herrn Stahl auf dem Krankenhausgang, ich kam vom Waldspaziergang ohne Krücken. Darauf Herr Stahl: „Wieso haben sie keine Krücken?“ „Hat mir die Krankenkasse nicht bewilligt,“ war meine Antwort. „Aber Einzelzimmer?,“ rief er mir noch hinterher.

Die Sonne lachte in mein Zimmer. Mein Nachbar (Andi) reichte mir frische Erdeeren über den Balkon. Von hier konnte ich stundenlang den Paragleitern zuschauen, wie sie, vom Kandel startend, über Waldkirch in der Thermik kreisten. Ich wollte wieder zu ihnen gehören.

Blick zum Kandel/Schwarzwald, vom Balkon der BDH Klinik
Startplatz der Paragleiter am Gipfel des Kandel (Suchbild)

Wollte ich, durfte und konnte ich aber nicht, denn erstmal hatte ich mich selber zu 3 Wochen Reha(ft) im nahen Freiburg verdonnert.

Die neue Hüfte soll ja nicht nur das Bein am Rumpf festhalten, sondern als nagelneues Ersatzteil auch wieder für verlorengegangene Bewegungsfreuden sorgen.

Tag 10

Von morgens um acht bis um fünf am Nachmittag war ich fortan in Terminen.

mein Termin- und Übungsplan

Rudermaschine, Beinstrecker, Beinbeuger, Gangschule I, II, III, Bewegungsschiene, Gymnastik, Visite, Lymphdrainage, Krankengymnastik, Crosswalker…..

Dazu ein Heer an Therapeuten und Therapeutinnen, die alles menschenmögliche versuchten, mir doch noch eine späte Karriere als Michael (Joseph) Jackson Double zu ermöglichen.

Meine Hüfte hatte das Zepter übernommen. Ich war nur noch ausführendes Organ, ein Hamster im Rad. Sogar zum Essen bleib kaum Muße. Die Zeitfenster zur Nahrungsaufnahme waren knapp 30 Minuten groß. Nett am Abend beim Pfefferminztee zusammensitzen ging ja wegen Corona nicht, also reichten die 30 Minuten.

Aber für die Königsberger Klopse mit Couscous hätte ich ein paar Minuten mehr gebraucht. Ich hatte mich mit dem Koch, einem jungen Mann aus Eritrea, auf einer Parkbank unterhalten. Er genoss seine Pause bei einer selbstgedrehten Zigarette und ich lobte derweil seine Kochkünste. Aber bei den Klopsen mit Sättigungsbeilage vermutete ich anfangs, er hätte nicht nur Tabak in seine Zigarette gedreht. Ein glasklarer Fehlschluss, denn Königsberger Klopse munden exzellent mit gut gemachtem Couscous.

Tag 16

So vergingen die Tage am Rande des Schwarzwalds. Keine Besuche, keine Ausflüge, quasi Quarantäne. Aber während man bei der richtigen Quarantäne plötzlich und unverhofft und unvorbereitet und auch ein bisschen unfreiwillig in Einzelhaft gerät, habe ich dieses Schicksal freiwillig gewählt und bekomme am Ende sogar noch einen frischen TÜV für mein Fahr/Laufgestell.

Ich bin jetzt am Tag 16 angekommen. Ich laufe wie ein junger Gott, habe Muskeln aufgebaut, wo bis dato noch keine waren und weiß nicht mehr, wie Rotwein schmeckt, oder Kölsch.

Und: ich vermisse meine Corona Hüfte kein Stück!

Mooswald Klinik
Mikka Im Mooswald

Ausblick

Ich beginne ganz langsam, die Menschen vor Ort zu verstehen, zumindest zu ahnen, was sie mir sagen möchten. Laut Wikipedia labern die hier in zig Dialekten wie Kurpfälzisch, Südfränkisch, Schwäbisch, Ostfränkisch, Niederalemannisch, Mittelalemannisch – und wer hätte das gedacht – auch Hochalemannisch.

In meinen Ohren kommt ein einziger Kaiserschmarrn an, aus dem einzelne Rosinen, sprich verständliche Wörter, herausschauen. Die allerdings fallen häufig der Maske zum Opfer, werden also auf ihrem kurzen Weg vom Mund durch die Corona- Maske auch zu Teigware.

Ich habe heute mit der Chefin gesprochen. Wegen guter Führung entlässt sie mich in einer Woche. Leider ist dann Corona noch nicht vorbei.

Also noch ein paar Wochen durchhalten – der Satz des Jahres 2021

Meine beiden Reparaturwerkstätten, die ich sehr empfehlen kann.

Details auf Anfrage

(Bei erfolgreicher Vermittlung erhalte ich keine Provision, habe das falsche Parteibuch)

https://www.bdh-klinik-waldkirch.de

https://www.mooswaldklinik.de

Hier war in den 80-iger Jahren der legendäre Prof. Klümper tätig. Ich möchte allerdings betonen, dass ich nur Schmerzmittel bekommen habe, kein Doping!

Was ich mit meiner Corona Hüfte noch geschafft habe, könnt ihr hier lesen:

Besteigung des Teide

100 km Wandern

Marathon am Everest: Der höchste Lauf der Welt

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

Comments (10)

  1. sonja moor

    lieber mikka, wann kommst du wieder einmal vorbei? sonja

  2. Hans Gerd Paffenholz

    Da bist du doch richtig: Läufst du wie ein Stümper, geh zum Doktor Klümper!

    Darfst du denn jetzt auch auf einem Behindertenparkplatz stehen und kostenlos mit Bus und Bahn fahren?

    Wenn nicht, empfehle ich die Anschaffung eines Ebikes, mit 2 Akkus, dann schaffst du locker 100 Kilometer!

    Ach so. Vorsicht! Habe im letzten Jahren einen EXKollegen in der der Reha in Bad Neuenahr besucht. Dort herrschte gerade große Aufregung weil zwei durch zu heftige rhytmische Bewegungen ihr neuen Hüften ausgekugelt hatten!

  3. Anonymous

    Die Fotos sind vermutlich nicht für alle Gemüter geeignet. Hab die Serviette vergessen

  4. Hallo Mikka,
    dank deiner Mail bin ich jetzt auch mal hier gelandet. Und habe es nicht bereut. Das ist eine wirklich schöne Seite. Ich habe die Warnung meines Browsers („nicht sicher“) einfach missachtet und überlebt. So wie du die Hüftoperation und den Marathon. Wir sehen uns nach Corona, wenn wir dann nicht alle in die Reha müssen… Liebe Grüße
    Dieter

  5. Mit der neuen Hüfte nimmst du mir wahrscheinlich beim Wandern noch einmal 1 km/h mehr ab. MIST!!! Trotzdem gutes Gelingen.

    • Ganz ruhig. Erinnere Dich: Seinerzeit auf dem Nürburgring, irgendwo beim Brünnchen, kamst Du an mir vorbei. Ich glaube, ich hatte damals schon Hüfte. Seitdem spüre ich deinen Atem im Nacken!

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