Running Man 4

Kurze Geschichte 4 –

Der Wettkampf –

Um 7.10 Uhr

herrschen in der U-Bahn innertropische Verhältnisse. An jeder Haltestelle strömen weitere Marathoni in die Waggons. Die Luft zum Atmen wird knapp und die wenige Luft ist zudem geschwängert von beißenden Salben- und Ölgerüchen. Viele Läufer:innen kennen keine Grenzen, wenn es darum geht ihre Körpermuskeln mit allem zu beschmieren, was in der Werbung als leistungsfördernd angepriesen wird. Jörg kauert auf seinem Sitzplatz und zählt die Minuten bis zum Beginn des Rennen. Eine sehr, sehr dicht vor ihm stehende Läuferin verströmt ein Dutzend verschiedene Gerüche. Jörg würde sich jetzt gerne übergeben, aber dieser Lust kann er aus tausend Gründen nicht nachgeben. Er hält die Luft an, und zählt dabei jetzt auch die Sekunden.

Um 7.20 Uhr

spucken die Waggons ihre Last auf den Bahnsteig. Jörg befindet sich in der Spitzengruppe und hechelt dem Ausgang entgegen. Atmen, bewegen, Beklemmungen abwerfen und endlich das Ziel vor Augen: den Startbereich mit den Tribünen am Rand und dem großen Banner über der Straße. Ein Moderator plärrt in sein Mikrophon, vor den Dixie Klos stehen endlose Schlangen, an den wenigen Büschen ist auch gut Betrieb und Jörg sucht seinen Startbereich. Markiert mit der Farbe rot für alle Läufer:innen mit geplanten Laufzeiten von drei bis dreieinhalb Stunden. Er will sich rechtzeitig seinen Platz im vordersten Bereich des Startkorridors sichern. So muss er, wenn es losgeht, nicht erst stundenlang Läufer überholen, die ihre Laufzeit zwar mit drei Stunden angegeben haben, in Wirklichkeit aber gut die doppelte Zeit für die Strecke benötigen und nach 5 Minuten die erste Pinkelpause einlegen müssen. Wie hasst Jörg diese Ausbremser, Wegelagerer, Aufschneider, Selfie-Schießer…..

Noch schlimmer sind die Verkleidungsläufer, die aus seinem Wettkampf einen Karnevalszug veranstalten und sich auf der Strecke so richtig breit machen.

Um 8.10 Uhr

frickelt Jörg den Laufchip für die Zeitmessung in die Verschnürung seines rechten Laufschuhs. Er stopft den Flies in die Tüte und zieht stattdessen den Müllsack über, schön warm! Von seiner Tüte muss Jörg sich jetzt verabschieden. Mit der aufgedruckten Startnummer wird sie von fleißigen Helfern für die Abholung nach dem Lauf in einem Zelt deponiert. Im nahen Park sucht er sich einen wenig frequentierten Busch und macht sich dann schön locker. Joggen in Zeitlupe, bis eine größere Wärme durch den Oberkörper strömt. Das erste Adrenalin schießt ein, entsprechend verschwinden auch die letzten Phantomschmerzen. Es bleibt trocken, also wandert die Mülltüte jetzt in die Tonne.

Um 8.40

steht er in seinem Korridor, schön weit vorne. Aber nicht ganz vorne. Und dann heißt es warten und die halblustigen Sprüche den Moderators ertragen. Auch leicht dämliche Klatschorgien zur Erheiterung muss Jörg erdulden, und die Geruchsnerven melden sich wieder. Denn im Korridor wird es eng und seine Mitkonkurrenten:innen haben nochmal ordentlich nachgelegt in Sachen: ätherische Öle von Kopf bis Fuß. Egal, jetzt gilt es! Jörg zieht die alten Shirts über den Kopf und hängt sie auf das nächste Absperrgitter. Helfer werden später viele tausend Kleidungsstücke einsammeln und sie zur entsprechenden Weiterverwendung sortieren. Noch ein bisschen Warm up auf der Stelle, für die Beine, und dann zählt der Bürgermeister auf der Ehrentribüne die Sekunden herunter.

Das Rennen

Um 9 Uhr wird geschossen

und Jörgs Korridor in die Freiheit entlassen. Es stockt und staut ein paar Minuten, aber dann passiert er das Nadelöhr Startlinie und die anschließende, breite Straße nimmt die Meute auf.

Jörg hält sich ganz links, da ist weniger Betrieb und er kann störende Ausbremser und Angeber hinter sich lassen. Jetzt geht es nur noch um den passenden Laufrhythmus.

Verkleidung beim New York Marathon
Running Elvis

Als der letzte Elvis hinter ihm liegt, kann er endlich Frieden finden, zu sich finden. Er will die Kilometer im Schnitt in 5 Minuten laufen, vielleicht in der ersten Hälfte des Rennens einen Hauch schneller sein. Dann hätte er noch einen kleinen Puffer hinten raus. Und würde seine Wunsch-Endzeit von dreieinhalb Stunden schaffen. Er hatte vor vielen Jahren in Berlin mal die drei Stunden Marke knacken wollen, aber am Wilden Eber hatte der „Mann mit dem Hammer“ ihm schon viel zu früh den Stecker gezogen. Seitdem lässt er Vorsicht walten. Eher zu langsam als zu schnell angehen. Nach knapp zwei Kilometern wird ihm warm und ab da beginnt die Genussphase. Nichts zwickt oder zwackt, sein Körper macht, was er machen soll. Jörg schaut nur selten auf die Uhr, den fünfer Schnitt hat er im Blut. Bis zur Halbmarathon-Marke trinkt er an der Verpflegungstationen nur Wasser.

Wasser zum zweiten Frühstück

Um 10.55 Uhr,

exakt bei Kilometer dreiundzwanzig meldet sich sein rechtes Knie, und einen knappen Kilometer später bittet das linke Fußgelenk um etwas mehr Aufmerksamkeit. Jörg weiß: noch fünf Kilometer und dann wird die intensive Zwiesprache mit seinem Körper in die alles entscheidende Phase eintreten.

Noch liegt er voll im Zeitplan, genießt die Stimmung entlang der Strecke, klatscht Kinderhände am Wegesrand ab und gönnt sich eine halbe Banane. Das dreißig Kilometer Schild zieht an ihm vorbei und die beiden Problemgelenke stellen urplötzlich ihren Widerstand komplett ein. Das nutzt die linke Wade und überlegt sich ein wenig herumzukrampfen. Aber Jörg ist seelig, noch läuft sein Motor rund. Eine Wade macht noch keinen Stillstand und mit gutem Zureden und gleichmäßigen Schritten wird sie gleich wieder saubere Arbeit abliefern.

Kilometer fünfunddreißig zieht vorüber, wo bleibt der Mann mit dem Hammer? Der Einbruch, der Kollaps, das Aus und das Ende. Ja, Jörg hatte seine 80 Kilometer Training pro Woche über viele Monate sauber absolviert. Aber ein Marathon ohne Qualen? Bei Kilometer neununddreißig wartet er dann doch noch an einer miesen Straßenecke auf Jörg, der Hammermann. Er schwingt sein Arbeitsgerät an einer leichten Steigung, Schmerzen durchströmen Jörg’s Körper und kaum ein Körperteil bleibt verschont. Der Drang ein paar Meter zu gehen oder stehen zu bleiben wird fast übermächtig.

Vorne links krampft es, rechts läuft es noch

Sein Magen stimmt mit in die Körperrevolte ein, Jörg könnte heulen vor Schmerzen und schafft es doch im Laufrhythmus zu bleiben. Und dann muss er doch losheulen, nicht nur vor Schmerzen, mehr noch vor Glück, denn er passiert die einundvierzig Kilometer Marke und weiß: Gleich kommt er in den Tunnel. Runner’s High sagen die Profis, wenn die Endorphine im Körper ganze Arbeit leisten. Jörg rennt dem Ziel entgegen. Ein paar hundert Meter hält er sich noch zurück, dann zieht er einen langen Endspurt an. Die Zuschauer fliegen an ihm vorbei, sie feuern ihn an, er hört sie klatschen. Er könnte noch weiterrennen, vielleicht sogar noch schneller. Aber das Zielbanner türmt sich vor ihm auf und stoppt sein Rennen, nicht sein Glücksgefühl – nach 42,195 Kilometern, die er in drei Stunden und vierzig Minuten geschafft hat.

12.29 Uhr

Marathon Läufer im Ziel
Ein Heuler

Ziel erreicht, aber 10 Minuten zu spät! Jörg taumelt durch den dicht gedrängten Zielbereich. Er bekommt einen Medaille um den Hals und eine Aludecke um die Schulter gelegt. Weiter hinten gilt es Essen fassen. Abwechselnd stopft er sich Fleischwurst-Scheiben, Bananenstücke, eingelegte Gurken und Müsliriegel in den Mund. Zum Spülen verwendet er alkoholfreies Bier. Sein Magen sagt ja zu dieser Gourmet Keule. Ein klares Zeichen, dass er sich nicht übernommen hat. Eine nahe Wiese lädt ein, sich lang zu legen, nur Jörg weiß: Später wieder in die Senkrechte kommen, könnte seinen Körper überfordern. Er macht es trotzdem und es ist schön, sehr schön, wäre da nicht die muntere Magenmischung, die jetzt doch nach oben und nicht nach unten will.

Die Treppen zur U-Bahn geht er rückwärts hinunter, vorwärts tut zu weh. Zu Hause leckt er seine Wunden auf dem heimischen Sofa, sein Magen beruhigt sich. Er denkt an Duschen, aber wie unfallfrei in die Duschkabine einsteigen? Er denkt an eine Schmerztablette und an den nächsten geplanten Wettlauf in drei Monaten, dann schläft er ein.

Ende der kurzen Geschichte

Hier die ersten zwei Folgen:

Running Man 1

Running Man 2

Und die Dritte findet ihr natürlich auch noch!!

Mehr zum New York Marathon unter:

https://www.runnersworld.de/laufkalender/new-york-city-marathon/

Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

Comment (1)

  1. Hans Küpper

    Ja, so ähnlich war es jedesmal😄

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