Running Man 1

Kurze Geschichte 1

Die Nacht des Running Man

Der Wind geht und er geht heftig. Bei jeder Böe bläht sich der Vorhang und kalte, feuchte Luft schwappt ins Zimmer. Kaum hat sie sich beruhigt, kommt der nächste Schwung. Dazu ein Krächzen, Wimmern und Heulen, auch in Stößen, das aus der Buche kommt. Ein Ast schafft es mit Wind bis zur Hauswand und kratzt sich dort wund. Der Wetterbericht hatte sich anders angehört. Wind und Regen braucht keiner, aber für Jörg bedeuten sie das pure Grauen und später auch Qualen, körperliche Qualen. Jörg ist hellwach, schwitzt und friert dann wieder, schaut auf den Wecker und kann die Zeit nicht erkennen. Der Countdown beginnt.

Ist es halb vier oder viertel nach sechs, warum sind die Zeiger an der Uhr gleich lang? Sein linkes Knie lag zu lang auf dem Rechten und pocht wild vor sich hin und ein stechender Schmerz zieht von irgendeiner Kniekapsel hinunter in irgendeine Knochenhaut am Schienbein. Einfach aufstehen, denkt Jörg, aber Jörg denkt auch: dann war die Nacht nichts wert, kein Schlaf, keine Erholung, keine neue Kraft, im Gegenteil. Kraft und Energie verloren, super! Und wenn es erst halb vier ist, oder fünf nach halb vier. Noch keine Zeitung da, drei Stunden ohne Zeitung rumsitzen, ohne Ablenkung. Da könnten noch mehr Schmerzen kommen, vielleicht auch das rechte Bein angreifen, oder die Fußgelenke, oder die Hüftknochen.

Einmal noch einschlafen und alle Probleme wären vergessen, gelöst. Mit einem Traum auf Reisen gehen, frei wie ein Vogel durch die Lüfte sausen.

Über den Wolkenin Osttirol
Über den Wolken geht der Blick bis zum Großglockner

Mal über den Wolken, der Sonne entgegen, mal über Berge und Täler, die wie eine Spielzeuglandschaft erscheinen.

Abendstimmung am Lasörling in Osttirol
Rund um den Lasörling/Osttirol

Jörg spürt wie der Flug beginnen will, dreht sich auf die linke Seite und ist bereit und guten Mutes. Doch links war falsch, Rücken wäre viel besser gewesen, jetzt spielt das linke Knie wieder Krieg. Der Start wird abgebrochen – Bruchlandung!

Die späte Nacht

Jörg gibt sich einen Ruck, knipst die Lampe hinter seinem Bett an, die er nur erreicht, wenn er sich weit hinauslehnt, mit der linken Hand auf dem Fußboden abstützt und dann mit dem Zeigefinger der rechten Hand den An-Knopf findet.

Es ist fünf nach halb vier.

Jörg  lässt das Licht brennen und überlegt, ob er das Fenster zumachen soll. Aber schlafen ohne frische Luft ist ungesund. Frische Luft schützt vor Erkältung und sogar vor Depressionen, sagt die Apotheken Umschau. Der Countdown läuft.

Er lässt das Fenster offen und hört wieder in seinen Körper. Der will nicht schlafen, sondern weh tun. Kann man sich beim Liegen im Bett verletzen, können sich Knochenhäute durch nichts tun entzünden, Kniescheiben explodieren, Hüftknochen ausrenken?

Der Wind schafft immer wieder den Weg bis über Jörgs Bett, der Ast schabt, die Buche jault und Jörg zählt die Minuten, zählt bis Hundert, hofft auf Schlaf, zumindest auf Halbschlaf, damit die Schmerzen verschwinden, der Rücken sich nicht weiter beschwert und der Wind Ruhe gibt. Wie heißen die, die ständig Angst vor Krankheit haben, denkt Jörg  und bei dem Gedanken ist der kleine Halbschlaf, der sich kurz eingestellt hatte, gleich wieder meilenweit weg.  Hypochonder, genau. Denken die, dass sie Schmerzen haben, oder haben sie die tatsächlich auch, so wie ich? Tut mir die Knochenhaut tatsächlich weh? denkt Jörg, oder glaub ich das nur, denkt Jörg weiter. Bin ich vielleicht ein verdammter Hypochonder?

Sein Rücken ist schon wieder schweißnass, jetzt hat er auch Schweiß auf der Stirn. Fieber schießt ihm durch den Kopf. Hypochonder schießt auch durch. Endet sein Countdown im Desaster.

Zwei Aspirin könnten dem Spuk ein Ende bereiten. Aber Tabletten fressen bei unklarer Diagnose und auf leeren Magen soll nicht so gut sein, sagt auch die Apotheken Umschau. Er weiß aber, dass die meisten seiner Kollegen:innen dopen und definitiv nicht nur mit Aspirin oder Ibu.

Der sehr frühe Morgen des Running Man

Jörg  macht einen Haken hinter die Nacht und schält sich aus der Steppdecke. Der Countdown geht in seine nächste Phase. Im Stehen hält das Knie, das linke Bein bricht nicht zur Seite aus, und alle Knochenhäute halten Ruhe. Draußen herrscht Totenstille, er macht das Fenster zu und schaut hinaus. Alles schwarz, wo ist der Wind geblieben? 

Es ist kurz vor vier

und Jörg muss die erste große Entscheidung dieses frühen Sonntags treffen: Erst duschen oder sofort Bademantel und Kaffee.

Er entscheidet sich fürs Duschen. Leider eine Fehlentscheidung, die Heizung steht noch auf Nachtbetrieb. Jörg hofft und hofft und fühlt und spürt, wird dabei nass und nässer und er fragt sich zwei endlose Minuten lang: kommt ganz langsam wärmeres Wasser durch die Leitung und in den Duschkopf? 

Dann gibt er auf, nass, kalt und ungewaschen, die Arme um den Bauch geschlungen. Jörg reibt sich mit dem Handtuch den Rücken warm, bis er glüht. Dann geht er dreimal in die Hocke und schnellt mit leichtem Abschlusssprung und Körperstreckung in die Höhe und schon sieht der Sonntag zumindest wie ein kleiner Sonntag aus. Nichts tut weh, unfassbar, aber vor allem unendlich beruhigend. Der Countdown setzt ein neues Highlight: pinkeln. Das verzeiht heute keine Fehler.

Nicht, dass Jörg  damit Probleme hätte, nein! Weder im Stehen noch im Sitzen! Aber korrektes Pinkeln reicht heute nicht. Heute geht es zusätzlich um das perfekte Timing, um die exakte Befüllung seines Körpers mit Mineralwasser und Tee und dann um das rechtzeitige Ablassen des Abwassers in den dafür vorgesehenen kleinen Zeitfenstern. Das ist heute überlebenswichtig. Natürlich auch eine verlässliche Verdauung. Jörg hatte vor einem Jahr bei Kilometer 28 in die Büsche gemusst.

Fehlplanung = Albtraum, Niederlage, Erniedrigung.

Das wird ihm nie mehr passieren. Es war ein mieser, kleiner Müsliriegel, der seine Innereien irritiert und aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Heute setzt er wieder auf die seit über 20 Jahren bewährte Kombi: Banane und ein Heißgetränk.

Der frühe Morgen

Erstmal: Socken und Adiletten an die Füße, Bademantel überziehen und die Uhr in der Küche kontrollieren.

Es ist viertel nach vier

und um Punkt sieben muss er aus dem Haus. Während das Wasser für den Tee heiß wird, schaut er aus dem Küchenfenster. Der Wind ist weg, aber der Regen, der fällt.

Nächste Woche: Running Man 2

Drei interne Links zum Thema: Sport und Abenteuer:

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Ich - Mikka Ich war schon immer eher Läufer und nicht Rädchen-Fahrer. Wir wohnten am Hang, ein unbefestigter Feldweg führte zu unserem Haus. Wir haben unsere Räder immer mehr geschoben als gefahren. Später verdiente ich mein Geld als Bademeister und Fensterputzer, da war ich auch viel zu Fuß unterwegs, ja und dann habe ich mit dem Marathon laufen angefangen. Und mit dem Bergwandern, ich war auch Reiseleiter im Himalaya. Als das Heruntergehen meinen Knien nicht mehr gefiel, hab ich das Paragleiten gelernt. Soviel zu meiner Sportkarriere. Beruflich lief es auch nicht so glatt. Als Junge wollte ich die Wetterstation auf der Zugspitze übernehmen. Es hat dann nur zum Wetterfrosch ohne Ausbildung gereicht. Lehrer konnte ich auch nicht werden, da hatte ich zwar eine Ausbildung, aber das Land NRW keine Jobs. Also wurde ich eben Reiseleiter, Reisereferent, Reiseverkäufer, Reiseredakteur und Reisejournalist. Ich bin ein bisschen herumgekommen. Habe Reisefilme gedreht, Reiseartikel und zwei Reisebücher geschrieben. Ich habe vor und hinter der Kamera gestanden, den Mount Everest fast bestiegen und die Sahara quasi durchquert. Ich bin viele Berge hochgelaufen und heruntergeflogen und ich bin seit 65 Jahren Gladbach Fan. Ich wurde in Mönchengladbach geboren.

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